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Quatsch Didel Datsch

Kinderreime

von Norbert Neugebauer (Autor), Werner Kiepfer (Autor), Petra Lefin (Illustrator)

Kinder wollen unterhalten sein. Sie lieben Geschichten und Spaß, Rhythmus und Reim.
Das Spiel mit den Worten, die einen ähnlichen Klang aufweisen, fasziniert sie. Der Gleichklang und Rhythmus von Versen lassen sie die (Mutter-)Sprache spielerisch erfassen. Dadurch lassen sie sich schnell auswendig lernen, immer wieder nachsprechen und fördern so das Sprachvermögen. - Mit den liebevollen Zeichnungen von Petra Lefin bietet das Heft Unterhaltung für die ganze Familie.

Auf dem Werderschen Friedhof

Auf dem Werderschen Friedhof

Friedrich Hebbel

Berlin hat noch manchen bedeutenden Mann, obgleich die Epoche vorüber scheint, wo es den natürlichen Mittelpunkt bildete, dem jede hervorragende Entwicklung zustrebte. Aber, wenn ich auch alle auf einmal versammelten, etwa bei einem Jubiläum, dessen Hauptgenuss darin besteht, dass der Alte sich dem Älteren gegenüber jung fühlt und sein Podagra im Vergleich mit dem Asthma, das diesen quält, erträglich findet: sie würden sich gegen die einst so laute, jetzt so still gewordene Gemeinde außerordentlicher Geister, die ehedem von   hier aus über ganz Deutschland ihre Strahlen aussandten, sehr winzig ausnehmen. „Kommen Sie," sagte am Karfreitag ein junger Dichter zu mir, „ auch wir wollen einen frommen Gang zu Gräbern machen, die der Menschheit heilig sind und es ewig bleiben werden!" Ich folgte seinem Ruf, ein Maler, Professor S. aus Weimar, der mein undankbares Gesicht zeichnete, schloss sich an, die geheimnisvolle Drei, die das bindet, was sonst auseinander fiele, war also beisammen. Der Nachmittag war sehr schön, ein frischer Regen hatte sich hastig ergossen, jedes Blatt hauchte Duft. Was in Berlin auffällt, ist die unendliche Fülle von Hyazinthen, die man feilbieten sieht; Jeder Markt ist voll davon, auf allen Straßen werden sie herumgetragen, in allen Häusern, sogar in den Restaurationen, trifft man Sträuße. Ein freundlicher Anblick!

Mein Führer und Mit-Pilger war nicht der beste; er wusste nicht allein die Gräber nicht, er wusste nicht einmal den Kirchhof, wir kamen auf einen ganz verkehrten, wo uns die Frau Totengräberin, in Samt und Seide gekleidet wie die vornehmste Dame, wenigstens so weit zurecht wies, dass wir er-fuhren, vor welchem Tore wir das Ziel unserer Wanderung zu suchen hätten. Endlich fanden wir, bei schon einbrechender Dämmerung, den Gottesacker, es ist der Werdersche, still und anspruchslos, wie es sich für die Stätte geziemt, wo alle Eitelkeiten der Welt ihr Ende haben, zugleich aber auch ehrfurchtgebietend, wie es dem Orte wohl ansteht, wo der edelste Staub sich dem gemeinen wieder mischen soll. Hier war die Totengräberin, wenn ich sie an-ders nicht mit der Magd verwechsle, keine Frau von Stande; aus einem schmucken Häuschen, dessen Fenster mit Blumen fast zugestellt waren, trat ein kurzes, dralles Weibchen hervor und beantwortete unsere Erkundigungen nach dem Grabe Hegels und Fichtes ungefähr so, als ob wir bei Lebzeiten nach ihrer Wohnung gefragt hätten. „Folgen Sie mir, meine Herren", sagte sie, „Sie sind hier durchaus nicht irre, ich werde Sie sogleich zu den Herren Professoren führen!" Man sieht, es fehlt nur das: sie sind noch immer nicht ausgezogen, ich behandle meine Leute gut, bei mir bleibt ein jeder, bis er abreist! Dann fügte sie, ihre fetten Arme in die Schürze wickelnd, hinzu: „Es sind aber noch viel mehr hier, die können Sie auch gleich mitnehmen, wenn es nicht zu früh dunkel wird, es wird Sie nicht gereuen!" Ich liebe den unfreiwilligen, unbewussten Humor, während ich gegen den bewussten, der seit Jean Paul so viel Glück macht, von Jahr zu Jahr stumpfer werde; jener kommt ungefähr so zustande wie eine schnurrige Figur, wenn Tische, Stühle und Bänke oder was sonst immer durcheinander purzeln und so scheinbare Verbindungen eingehen, die freilich nur für unser Auge bestehen.

Auf dem Kirchhof ist nun eigentlich alles Tun des lebendigen Menschen humoristisch, denn Leben und Tod sind nicht in Einklang zu bringen; am allerpossierlichsten nehmen sich aber die Dienstleute des Todes aus. Wer in Hamburg je eine Leiche bestatten sah, wer die roten, jugendlichen Gesichter der Träger unter den weiß gepuderten Perücken erblickte, die sie zu Greisen stempeln sollen, der hat ohne Zweifel einen Eindruck, wie aus dem Callot mit hinweg genommen, der hat ein Gefühl gehabt, als habe irgendein verrücktes Menschengehirn den Schädel gesprengt und den tollsten seiner Träume in die Welt entlassen. Mir ging es nicht viel anders mit dem Werderschen Kirchhof, wie ich unsere Cicerone den Ruhm glossieren hörte, während sie uns von Grab zu Grab führte. „Das war der Philosoph Fichte, dem haben sie die messingenen Schilder vom Denkmal herunter gebrochen, er wird viel besucht; dort liegt ein Kollege von ihm, er heißt Hegel, etwas weiter weg findet sich noch ein anderer Kollege, namens Solger, er verdient's auch, dass Sie die paar Schritte seinetwegen machen!

Hier bemerken Sie die Dichterin Amalie v. Imhof, die hat ein schönes Grab usw." Geradeso, als ob ein Guckkasten vorgezeigt worden wäre! Mitunter wurden wir fast mit Gewalt zum Stehen bleiben gezwungen, um einem Toten die Reverenz zu bezeigen, der uns wenig kümmerte, den unsere Führerin aber protegierte; ganz gewiss - sagte sie dann - auch das war ein berühmter Mann, ich muss es doch wohl wissen! Auch rührende Verse ließ sie uns lesen; sie schien ihren Bedarf an Poesie von den Leichensteinen zusammen zu kratzen, und so hat jeder Dichter sein Publikum, sogar der Inschriftenverfasser. Der Werdersche Kirchhof ist an interessanten Gräbern nun auch in der Tat überreich, so viel erloschene Fackeln auf einmal trifft man wohl nur in Paris auf dem Pere-Lachaise wieder beisammen. Von den Majestäten, von Hegel, Fichte und Solger noch abgesehen: was ruht dort nicht alles aus!

Der heitere, lebenslustige Eduard Gans, dies Musterbild eines echten Schülers, der, wie mein Begleiter mir erzählte, noch im Tode eine Demonstration gemacht, durch seinen Leichenzug Nämlich, den eben von Potsdam kommenden König am Weiterfahren gehindert hat; der ge-lehrte Buttmann, die Plage jedes Tertianers, der Griechisch lernen muss; der unermüdliche und doch so rasch überholte Hufeland, der das menschliche Leben so kurz fand, dass er es durch sein Buch zu verlängern suchte; der heitere Klenze, der in München die Glyptotek erbaute, ohne zu erwägen, ob der weiche Tonboden auch die last des Gebäudes trüge; der breite, redselige Schadow; Hitzig, der treue, redliche Freund, der sich erst niederlegte, nachdem er seinen Hoffmann und seinen Chamisso unsterblich gemacht hatte; schüchtern in einem Winkel, als ob er sich in so vornehmer Gesellschaft seiner Schwänke ein wenig schäme, sogar der spaßige Langbein; die alles, und noch mehr liegen hier friedlich beieinander. An wie manchen dieser Namen knüpft sich eine ganze Epoche, die einem vor die Seele tritt, sowie er nur genannt wird! Nur Hoffmann, der phantasiereiche Verfasser der Nachtstücke, der Serapionsbrüder und so vieler anderer seltsamer Werke, der in Deutschland Aus der Mode gekommen ist, in Frankreich aber enthusiastischer wie jemals gefeiert wird, fehlt hier, und ebenfalls Seydelmann, dem Rötscher ein so schönes Denkmal gesetzt hat - sonst ist alles beisammen, was leuchtende Fußstapfen auf diesem Boden hinterließ!

Anmerkung: Der Werdersche Friedhof heißt heute Dorotheenstädtischer, ist immer noch
einen Besuch wert (Chausseestraße in Mitte, neben dem Brecht-Haus gelegen).

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Fotos: Hannelore Eckert

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