Berlin-Lese

Gehe zu Navigation | Seiteninhalt
Berlin-Lese
Unser Leseangebot

Kennst du Antoine
de Saint-Exupéry?

Karlheinrich Biermann

Großer Beliebtheit erfreut sich noch heute die Geschichte vom kleinen Prinzen, jenem philosophischen Märchen, das von Liebe, Freundschaft und Tod handelt. Darin geht Saint Exupery der Frage nach dem Sinn des Lebens nach und blickt zurück auf sein eigenes: das Abenteuer einer Bruchlandung, das Überleben in der Wüste, die Sehnsucht nach der verlorenen Liebe … all das war dem Autor nur allzu vertraut.

Ostermärchen

Ostermärchen

Joachim Ringelnatz

Am Abend vor Gründonnerstag lag der kleine Fritz mit wachen Augen im Bett und konnte nicht einschlafen. Beständig musste er an morgen denken, wo er mit seinen Geschwistern - wie alle Jahre - Ostereier suchen würde. Wie viele es wohl sein und wie sie wohl aussehen und wie groß sie sein würden?

Während er noch darüber nachsann, hörte er plötzlich hinter sich ein feines Stimmchen seinen Namen rufen. Mehr erstaunt als erschreckt drehte er sich um und sah - einen kleinen Hasen auf dem Stuhl am Kopfende seines Bettes sitzen.

„Mein Name ist Kohlfraß", sagte das Häschen. „Darf ich dich zu einem Spaziergang einladen?". Fritzchen wunderte sich zwar ein bisschen über den Einfall, jetzt spazieren zu gehen, erklärte sich aber bereit und folgte, nachdem er sich angezogen hatte, dem Häschen, das im schnellen Laufe durch Zimmer und Vorsaal, die Treppe hinunter, zur Stadt hinaus, über Wiesen und Felder voraneilte. Schneller war Fritz noch nie gelaufen.

Endlich hielt sein Führer vor einem hohen Felsen. „Dies ist der Osterhasenpalast", sagte Kohlfraß. „Hier werden die Eier gefertigt, die wir Hasen dann in den Gärten und Stuben für artige Kinder verstecken. Eigentlich dürfen Kinder hier nicht hinein. Da du aber besonders brav gewesen bist, so will ich dir heute einmal alles zeigen."

Hierauf zog das Häschen aus einem seiner Ohren ein Schlüsselchen hervor, das es in eine Felsenritze steckte. Sogleich öffnete sich eine Tür, und sie traten in einen finsteren Gang. Plötzlich war es hell, und nun standen sie vor einem ungeheuren offenen Tor, durch das man in einen großen, hellen Saal schaute, der wieder in drei kleinere Säle abgeteilt war. Vor dem Tor stand eine Hasenschildwache mit einem Gewehr, das sie sofort auf Fritzchen anlegte.

Der flüchtete entsetzt hinter seinen Begleiter. Kohlfraß aber raunte der Schildwache nur ein Wörtchen zu, worauf diese sogleich das Gewehr senkte und ehrerbietig präsentierte. Die zwei traten nun in den ersten Saal. „Hier werden die Eier gelegt", erklärte Kohlfraß.

Fritzchen sah mit Staunen: Da kauerten Tausende von Hasen und Häschen am Fußboden, der mit weichem Moos belegt war. Sie hielten sämtlich die Vorderpfoten in die Seiten gestemmt und stöhnten und keuchten ganz schrecklich - das Leben musste doch sehr anstrengend sein! - während der Eierhaufen neben einem jeden immer größer und größer wurde.

Es waren auch Zuckerhasen darunter, die legten natürlich Zuckereier. Fritzchen sah auch welche aus Marzipan, Schokolade, ja aus Glas - und sogar aus purem Gold!

Ging einmal ein Ei entzwei, dann geschah etwas Schnurriges: Es schlüpfte sofort ein Häschen daraus, das sogleich fleißig mitlegen half. Andere Hasen gingen umher, sammelten die Eier in Körbchen und trugen diese fort.

Fritzchen wurde nun von seinem Begleiter in den zweiten Saal geführt. Hier saßen Tausende von Hasen auf Kohlblättern, große Farbtöpfe neben sich und Pinsel in den Pfoten. Fritzchen bemerkte, dass sie fast alle mit Farbklecksen bespritzt waren. Sie trugen große Brillen auf der Nase, ließen die Ohren hängen und taten sehr wichtig.

„Die Maler", erklärte Kohlfraß. Fritzchen beobachtete mit Vergnügen, wie die langohrigen Künstler mit erstaunlicher Geschwindigkeit die Eier rot, gelb, blau und grün bepinselten, allerlei Figuren hineinkratzten und auf den Zucker- und Schokoladeneiern mittels kleiner Spritzen Herzen, Namenszüge und andere Formen aus Zuckerguß anbrachten.

Die auf diese Weise fertiggestellten Eier wurden von anderen Hasen in den dritten Saal geschafft, wo sie, sorgfältig mit Moos umhüllt, in Körbe gepackt und von Hasendienstmännern fortgetragen wurden.

Fritzchen war inzwischen von Kohlfraß in den dritten Saal vor den Osterhasenkönig geführt worden. Dieser, ein Hase von riesenhafter Größe, saß in einer ungeheuren Eierschale, von einer Schar von Hasenhöflingen umgeben, die alle bei Fritzchens Eintreten aufsprangen und höflich Männchen machten - was bei den Hasen dasselbe wie bei unseren Soldaten das Salutieren ist. Seine Majestät hatte erstaunlich lange Ohren, die durch den ganzen Saal reichten und derer er sich ab und zu bediente, einem unfolgsamen Untertan eine Ohrfeige zu verabreichen.

Er redete übrigens Fritzchen sehr freundlich und leutselig an, riet ihm, immer brav und gut zu bleiben wie bisher, und überreichte ihm schließlich ein Osterei.

Hoch erfreut seinen Dank stammelnd, wollte Fritzchen es entgegennehmen, erfaßte es auch bereits, da - o weh! - entglitt es seiner Hand und zerschlug - klack! auf dem Fußboden.

Sogleich kam eine Menge Hasen daraus hervor, sie fingen an zu legen und legten und legten ein Ei nach dem anderen in einem fort, in einem fort!

Im Nu war der ganze Boden mit Eiern bedeckt. Die Hasen legten weiter und immer weiter: jetzt reichte der Eierhaufen schon bis an Fritzchens Schultern. Und mit einmal ward ihm schwarz vor Augen, ihn überkam eine furchtbare Angst, er schrie laut auf - und erwachte.

Er lag in seinem Bett. Alles war verschwunden, bis auf ein kleines Schokoladenei, das er in der Hand hielt. Darauf stand ein K und ein L: König Lampe.

*****

Fotos: Hannelore Eckert

Weitere Beiträge dieser Rubrik

Berliner Eckensteher
von Adolf Glassbrenner
MEHR
Werbung
Unsere Website benutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung unserer Inhalte stimmen Sie der Verwendung zu. Akzeptieren Weitere Informationen