Berlin-Lese

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Gestaltungsoptionen für einen zukunftsfähigen Arbeits- und Gesundheitsschutz im Pflege- und Dienstleistungssektor

P. Fuchs-Frohnhofen, T. Altmann, S. Schulz, L. M. Wirth, M. Weihrich (Hg.)

Die Pflegebranche ist für die Arbeitsforschung aus mehrern Gründen pragmatisch: Es existieren hohe Belastungen, dabei auch nach wie vor erhebliche körperliche, doch vorallem psychische. Zusätzlich steht die Pfegebranche vor dem Problem, dass immer mehr pflegebedürftige Menschen einer sinkenden Anzahl von Pflegefachkräften gegenübersteht. In der Publikation werden die Ergebnisse einer Zusammenstellung von Verbundprojekten aus dem BMBF mit dem Förderschwerpunkt "Präventive Maßnahmen für die sichere und gesunde Arbeit von morgen" bereitgestellt.

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Großzügige Grammatik des Berliners

Großzügige Grammatik des Berliners

Hans Ostwald

„Der Berliner sagt immer mir, ooch wenn`t richtig ist!" Mit dieser scherzhaften Redensart betont der Berliner, dass er mir und mich nicht beliebig verwechselt und verwendet. Das kommt schon in dem klassischen Vers zum Ausdruck:

Ick liebe dir, ick liebe dich,
Wie`t richtig ist, det weess ick nich
Und is mich ooch Pomade.
Ick lieb`dir nich im dritten Fall,
Ick lieb`dir nich im vierten Fall,
Ick liebe dir uff jeden Fall!

Weil dem Berliner aber oft das Verwechseln vorgeworfen wird, muss hier ausdrücklich betont werden: nur Berliner aus den Unterklassen halten es für notwendig, im Gespräch mit Gebildeten manchmal zu „micheln", weil sie das für gebildet halten. Dann kommt das „mich" auch wohl am falschen Ort heraus. Eine Dialekteigentümlichkeit ist dieses bewusste Abweichen also nicht, sondern nur ein allerdings oft missglückter Versuch, dem andern entgegen zu kommen. Wer also richtig berlinerisch sprechen will, wende nie das mich an! Allerdings machen sich manche Berliner schwere Sorgen über ihre Aussprache. Graeser erzählte mal eine lustige Geschichte von einem jungen Mann, dem seine Braut eine „Deutsche Grammatik" gegeben hatte. Die Braut war was „Besseres" und er sollte nicht immer mir und mich verwechseln. Das Lernen fiel ihm aber schwer. Das antwortete er einem Freunde, der ihn nach dem Buche fragte. „Na", sagte der," da würd` ick mir nich lange mit quälen - da jibt`s `n janz einfaches Mittel, wo keener mehr merkt, ob man falsch oder richtig sprecht! - „Na?" - „Man sagt nich mehr mir und ooch nich mehr mich, sondern janz einfach ´ma´!" Zum Beispiel:"Ick hab ma jesetzt - da weess keener, ob ick mir oder mich jesagt habe, denn´ma´is immer richtig!"

Allerdings konnte der zweite Berliner nur diesen salomonischen Rat geben, weil im Berlinerischen das r in den Wortendungen meist wie ein a lautet. Der Berliner hat nun mal das Pech, ein schleifendes Zäpfchen-r zu sprechen. Sein mir klingt daher wie mia, aus dem oft ma wird.

Als Beweis, dass dem Berliner das falsche mir gründlich eingewachsen ist, sei hier noch eine Wrangel-Anekdote angeführt. Wrangel wird von einem Offizier begleitet, der die Aufgabe hat, ihn auf Sprachfehler aufmerksam zu machen. Ein Posten präsentiert vor Wrangel.

Wrangel: „Der hat mir jejrießt!"
Der Offizier berichtigt: „Nein - mich!"
Wrangel fragt verwundert:"Wat, der hat Ihnen jejrießt?"
Der Offizier berichtigt abermals: „Nein, Sie!"
„Na, also", erwidert Wrangel beruhigt, „hat er doch mir jejrießt!"

Wenn der Berliner Dativ und Akkusativ verwechselt, dann macht er das ganz bewusst, dann parodiert er lustig die Verleumdung, als mache er Mischmasch. „Kein Verjniejen ohne den Damens, aber mit die Damens jeht`s in dem Jelde!" Auch muss man sich vorsehen, das Wort mang falsch zu verwenden. Es bedeutet „ darunter gemengt". „Pfui Deibel, da is ja Wasser mang!" sagt der Berliner von dünnem Grog. Aber „Mang de Linden" wird nur scherzhaft oder in gezierter Weise gebraucht.

Der Berliner springt gewiss oft eigenmächtig mit der deutschen Sprache um. Aber die Eigenmächtigkeit der Berliner Sprache hat ihre bestimmten Grenzen. Der Berliner kennt z. B. keinen zweiten Fall. Franz Lederer berichtet dazu aus seiner Schulpraxis: „Kommt da eines Tages ein Schüler und sagt zu mir:" Herr Doktor, ich wollte mal fragen wegen das Buch." Drohend frage ich:" Wie heißt es?" - Ratlos blickt er mich an, bis er endlich stammelt:" Ich wollte mal fragen wegen dem Buche." Noch drohendere Gebärde meinerseits: „Wie heißt es?" Ich wende mich an die ganze Klasse: 42 Tertianer. Wenn ich Glück habe, trifft einer das Richtige. Meistens jedoch habe ich kein Glück und muss den Schülern einen Sprachgebrauch einprägen, der ihnen ganz fremd ist.

Dann bringt der Berliner auch gern das Geschlecht der Substantive durcheinander. Für den richtigen Berliner gibt es nicht das Petroleum oder das Gas, sondern der Petroleum oder der Gas brennt! Er sagt auch nicht, der Monat ist um, sondern das Monat is um! Nichtberliner glauben, dass der Berliner stets da, wo im Hochdeutschen ein ei steht, es wie ee ausspricht. Das stimmt aber nicht. Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass im Berlinerischen „ei" nur dann zu „ee" wird, wenn auch im Niederdeutschen „ee" steht. Er sagt also: „ Der Kerl, der die Arbeet erfunden hat, der muss nischt zu dun jehabt haben!" Wenn aber im Niederdeutschen für ein „ei" ein „i" steht, dann bleibt der Berliner beim „ei": „Det kann ja keen Schwein lesen!"...Auch das au wird nur dann zu „oo", wenn es im Niederdeutschen , sich zum „oo" gebildet hat: „Junge, Junge, ick gloobe, du roochst!" sagt Zille zu einem kleinen Steppke. „Wenn ick dein Vater wär!" „Könn`Se haben", antwortete der Junge, „Meine Mutter is Witwe."

Wo aber im Niederdeutschen anstatt „au" ein „u" steh und da behält der Berliner das au und sagt z. B. zu jemand ,der sich dumm benommen hat: „Jeh zu Hause, lass dir kämmen!" Wenn also ein Nichtberliner die berlinische Sprache richtig sprechen will, muss er vielerlei beachten. Will er etwa klüger sein als der Berliner und ihn mit dem Verwechseln von mir und mich aufziehen, kann er jedenfalls leicht zu hören bekommen: „Et is schon vorjekommen, det een Nachtwächter bei Dage jestorben is!"

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Quelle: „Berlinerisch" von Hans Ostwald (31.7.1873-8.2.1940), Piper&Co-Verlag München 1932
          

           gefunden  von Hannelore Eckert

Foto: Hannelore Eckert

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