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Jürgen Krätzer

Kennst du Gotthold Ephraim Lessing?

Jürgen Krätzer eröffnet uns eine neue Sicht auf den Autor. Er war eine faszinierende Persönlichkeit, ein kluger Kopf mit spitzer Zunge und sensiblem Herzen – ein „Freigeist“.

Die Pfaueninsel 15. Juli 1852

Die Pfaueninsel 15. Juli 1852

Theodor Fontane

Und Stille, wie des Todes Schweigen
Liegt überm ganzen Hause schwer.


                                  „Die Kraniche des Ibykus"

Friedrich Wilhelm IV. hatte auf die Friderizianische Zeit zurückgegriffen und Sanssouci samt seinen Dependenzien belebte sich wieder. Das Rokokoschloss der Lichtenau verfiel nicht, aber es kam außer Mode; jetzt führte die Eisenbahn viele Tausende hinüber, um die Rosenblüte in Charlottenhof zu bewundern. Die Pfaueninsel war nicht mehr Sommerresidenz, zählte aber immer noch zu jenen bevorzugten Havelplätzen, wo der König zu landen und in Stille, bei untergehender Sonne, seinen Tee zu nehmen pflegte. Ein solcher Abend war der 15. Juli 1852.

Kaiser Nikolaus war am preußischen Hofe zu Besuch. Ein oder zwei Tage später erschien Demoiselle Rachel in Berlin, um ein früheres Gastspiel zu wiederholen. Friedrich Wilhelm IV., mit seinem kaiserlichen Gaste in Potsdam verweilend, gab dem Hofrat Schneider den Auftrag, die berühmte Tragödin für eine Pfaueninsel-Vorstellung zu engagieren. Die nötigen Schritte geschahen; die Rachel, die natürlich ein Auftreten im Neuen Palais oder doch mindestens im Stadttheater erwartete, sagte zu und wurde nebst ihrem Bruder am Nachmittage des festgesetzten Tages auf dem Bahnhofe zu Potsdam von Hofrat Schneider empfangen.

Es stellte sich heraus, dass dieser keine bestimmteren Orders für eine Art Festprogramm anzugeben vermochte und schließlich eingestehen musste, es fehle an jeglicher Vorbereitung und alles sei in die Macht ihrer Erscheinung und ihres Genius gegeben. Die Geschwister waren außer sich und drohten mit einem mehrfach wiederholten „jamais" ("niemals"), die Unterhandlungen abzubrechen. „Eine Bänkelsängerin, eine Seiltänzerin, nie, nie!"

Aber die diplomatische Beredsamkeit des Unterhändlers siegte. Er erinnerte daran, dass Moliere in ähnlicher Situation vor dem Hofe Ludwigs XIV. seine größten Triumphe gefeiert habe, was Eindruck zu machen schien; als aber die Einflüsterungen des „linken Reiters" (Bruder Raphael) wieder die Oberhand zu erlangen schienen, als das Wort „Bänkelsängerin" immer von neuem fiel, griff Hofrat Schneider endlich zum letzten Mittel. Der Rachel lag ungemein daran, in Petersburg - das ihr seit 1848, wo sie, von der Bühne herab, als Göttin der „Freiheit" die Marseillaise gesungen hatte, verschlossen war - wieder Zutritt zu gewinnen. Dieser Köder wurde wirksam, als der diplomatische Plenipotentiare mit lebhaftesten Farben den Eindruck auf den Kaiser bei der Nachricht schilderte, „Demoiselle Rachel habe es abgelehnt, zu erscheinen," während sich ihr umgekehrt eine glänzende, wohl nie wiederkehrende Gelegenheit zur Versöhnung des Kaisers biete. Dies schlug durch.
„Je jouerai" ("Ich werde spielen").

Bedenken, die auch jetzt noch auftauchten, waren nur wie nach dem Gewitter und wurden mit verhältnismäßiger Leichtigkeit beseitigt. Zunächst die Kostümfrage. Nichts war zur Hand, nichts zu beschaffen. Ihre eigene Gesellschaftsgarderobe half indessen über diese Verlegenheit hinweg. Sie trug ein schwarzes Spitzenkleid. Dies wurde ohne Mühe zu einem spanischen Kostüm hergerichtet. Ein Teil der kostbaren Alencons zu einem aufrecht stehenden Kopfputze arrangiert, barg eine blutrote Rose; ein schwarzer Schleier, ein irischer Kragen vollendeten die Toilette. So traf man auf der Pfaueninsel ein.

Die Sonne war eben am Untergehen. Noch einmal ein flüchtiges Stutzen, als auf die Frage:
„Ou jouerai-je?" ("Wo soll ich spielen?") stumm auf den Rasenfleck hingedeutet wurde, der von rechts her bis dicht an das Schloss herantritt; - es war indessen die Möglichkeit eines „nein" so gut wie abgeschnitten, um so mehr, als jetzt der Hof, in seiner Mitte der Kaiser, erschien und Kreis schließend, links auf dem Kieswege und rechts auf dem Rasenplatze Aufstellung nahm. Nach rechts hin, unter den Ministern und Generalen, stand auch die Rachel.

Es war inzwischen dunkel geworden, so dunkel, dass ihr Bruder ein in einer Glasglocke steckendes Licht ergriff und an die Seite der Schwester trat; späterhin, inmitten der Deklamation, reichte auch das nicht aus, und die berühmte Tragödin nahm dem Bruder das Windlicht aus der Hand, um sich selber die Beleuchtung zu geben. Ihr Mienenspiel war ihre Größe. Sie hatte jene Stelle aus der Athalie gewählt, wo sie dem Hohen Priester das Kind
abfordert:

Ce que tu m´as promis, songe a executer

Cet enfant, ce tresor, qu`il faut qu`on me remette, Ou sont-ils? ("Das was du mir versprochen hast, mir dieses Kind zu beschaffen, deinen Schatz, den ich zurückerhalten soll. Wo sind sie?")

Sie spielte groß, gewaltig; es war, als ob das Fehlen alles Apparats die Wirkung steigere. Der Genius, ungehindert durch Flitter und Dekorationen, wirkte ganz als er selbst. Dabei brachen die Schatten des Abends immer mehr herein; die Luft war lau, und aus der Ferne her klang das Plätschern der Fontänen. Alles war hingerissen. Zumeist der König. Kaum minder sein Gast, der Kaiser. Er trat an die Tragödin heran:

J`espere de vous voir a Petersbourg. ("Ich hoffe, Sie in Petersburg zu sehen")

Mille remerciments, mais...Votre Majeste... (Tausend Dank, aber Eure Majestät ...")

Je vous invite, moi. ("Ich lade Sie persönlich ein")

Die kaiserliche Einladung war ausgesprochen, das Ziel erreicht, der große Preis des Abends gewonnen. Eine Viertelstunde später, in lampiongeschmückten Gondeln, kehrte der Hof, der auf eine kurze Stunde die Pfaueninsel belebt hatte, wieder in die jenseits der breiten Havelfläche gelegenen Schlösser zurück, nach Glienicke, Sanssouci, dem Neuen Palais. An der Stelle aber, wo die Rachel einen ihrer größten Triumphe gefeiert hatte, erhebt sich jetzt, auf schlankem Postament, eine Statuette der Künstlerin mit der Inschrift: dem 15. Juli 1852.

*****

gefunden von Hannelore Eckert

Quelle: Wanderungen durch die Mark Brandenburg 3. Teil
           J. G. Cotta`sche Buchhandlung 1925
 

Fotos: Hannelore Eckert

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