Vor Beginn des Krieges am 1.9.1939 war eine Auswanderung grundsätzlich noch möglich. Doch wer auswanderte, musste sein gesamtes Vermögen zurücklassen und durfte nur das Notwendigste mitnehmen. Außerdem musste er Menschen und ein fremdes Land finden, die bereit waren, ihn bei sich aufzunehmen. Viele jüdische Familien in Deutschland hofften lange noch, dass sie im nationalsozialitischen Deutschland überleben könnten.
Im Falle der geretteten Kinder waren es religiöse Gemeinschaften wie die Quäker und Menschenrechtsorganisationen, welche die ganze Gefahr erkannt hatten und in England nach Adoptiv- und Pflegeeltern suchten. Die englische Regierung übernahm die Organisation und die jüdische Gemeinde in England die Kosten. In mehreren Schüben, die erste Aktion umfasste 139 Kinder, wurden die jungen Juden aus Deutschland, Österreich, Böhmen und Mähren nach London gebracht und dort in Familien vermittelt oder in Flüchtlingslagern untergebracht.
Kurze Zeit später wurden von denselben Bahnhöfen aus jüdische Kinder mit ihren Eltern, Geschwistern und Verwandten in Konzentrationslager verschickt, wo sie fast alle ermordet wurden. Auch dieser Kinder wird in der Georgenstraße gedacht. Gerettete und Nicht-Gerettete treten uns in verschiedenen Farben und entgegengesetzter Richtung entgegen.
Von Seiten des Berliner Senats gab es Bedenken gegen das Denkmal, weil es auch den Aufbruch zu einem Klassenausflug darstellen könne. Wer jedoch in die Gesichter der Kinder schaut, sieht sie fragend, verunsichert und bedrückt. So finden sich Schüler nicht zur Klassenfahrt zusammen.
Die 10 000, die nach Westen gebracht wurden, überlebten zwar den Naziterror, doch fast alle verloren Eltern, Familienangehörige und Freunde. Inzwischen sind sie alt geworden oder selbst nicht mehr am Leben. Wenn sie uns vor dem Bahnhof Friedrichstraße unvermittelt noch als Kinder entgegentreten, möchte man ihnen beschämt versichern, dass alle Kinder der Welt ein unbedingtes Recht auf Schutz und Hilfe haben.
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Fotos: Florian Russi