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Lebendige Nachbarschaft und Integration

so heißt die erste Ausgabe unserer neuen Zeitschrift

FLECHTWERK - Lebebendige Nachbarschaft und Integration

Die Deutschen sind ofener geworden und haben gleichzeitig mehr Sinn für Heimat, Familie und Nachbarschaft entwickelt. Es müssen neue Wege gesucht werden, um Ausgrenzung und Anonymität zu verhindern.

Das Kinderdenkmal in der Georgenstraße

Das Kinderdenkmal in der Georgenstraße

Florian Russi

Was ein Mahnmal aussagen kann

Auf einem Bürgersteig in der Georgenstraße, in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße, begegnet uns ein anrührendes Denkmal. In Bronze gegossene, wirklichkeitsnahe Skulpturen von Kindern mit kleinen Gepäckstücken. Das Denkmal wurde von dem Bildhauer Frank Meisler geschaffen und befindet sich seit 2008 an dieser Stelle. Es erinnert daran, dass am Bahnhof Friedrichstraße und zwei weiteren Berliner Bahnhöfen aus in der Zeit von November 1938 bis Ende August 1939 mehr als 10 000 jüdische Kinder mit dem Zug nach London gebracht und dadurch vor einem späteren Abtransport in ein Konzentrationslager bewahrt wurden. Diese Rettungsaktionen waren möglich, weil in den ersten Jahren nach Hitlers Machtergreifung der jüdische Teil der deutschen Bevölkerung zwar schon diskriminiert und aus der Rechtsgemeinschaft ausgestoßen wurde (1935 wurden die ersten der sog. Nürnberger Gesetze verabschiedet), seine systematische Verfolgung und Ermordung jedoch erst mit dem Beginn des 2. Weltkrieges in Gang gesetzt wurde und für Hitler ein Teil dieses Krieges war. Am 23.10.1941 erließ Himmler ein Auswanderungsverbot für alle Juden. Am 20. Januar 1942 tagte die sog. Wannseekonferenz, bei der die Verfahren für deren Vernichtung vereinbart wurden.

Vor Beginn des Krieges am 1.9.1939 war eine Auswanderung grundsätzlich noch möglich. Doch wer auswanderte, musste sein gesamtes Vermögen zurücklassen und durfte nur das Notwendigste mitnehmen. Außerdem musste er Menschen und ein fremdes Land finden, die bereit waren, ihn bei sich aufzunehmen. Viele jüdische Familien in Deutschland hofften lange noch, dass sie im nationalsozialitischen Deutschland überleben könnten.

Im Falle der geretteten Kinder waren es religiöse Gemeinschaften wie die Quäker und Menschenrechtsorganisationen, welche die ganze Gefahr erkannt hatten und in England nach Adoptiv- und Pflegeeltern suchten. Die englische Regierung übernahm die Organisation und die jüdische Gemeinde in England die Kosten. In mehreren Schüben, die erste Aktion umfasste 139 Kinder, wurden die jungen Juden aus Deutschland, Österreich, Böhmen und Mähren nach London gebracht und dort in Familien vermittelt oder in Flüchtlingslagern untergebracht.

Kurze Zeit später wurden von denselben Bahnhöfen aus jüdische Kinder mit ihren Eltern, Geschwistern und Verwandten in Konzentrationslager verschickt, wo sie fast alle ermordet wurden. Auch dieser Kinder wird in der Georgenstraße gedacht. Gerettete und Nicht-Gerettete treten uns in verschiedenen Farben und entgegengesetzter Richtung entgegen.

Von Seiten des Berliner Senats gab es Bedenken gegen das Denkmal, weil es auch den Aufbruch zu einem Klassenausflug darstellen könne. Wer jedoch in die Gesichter der Kinder schaut, sieht sie fragend, verunsichert und bedrückt. So finden sich Schüler nicht zur Klassenfahrt zusammen.

Die 10 000, die nach Westen gebracht wurden, überlebten zwar den Naziterror, doch fast alle verloren Eltern, Familienangehörige und Freunde. Inzwischen sind sie alt geworden oder selbst nicht mehr am Leben. Wenn sie uns vor dem Bahnhof Friedrichstraße unvermittelt noch als Kinder entgegentreten, möchte man ihnen beschämt versichern, dass alle Kinder der Welt ein unbedingtes Recht auf Schutz und Hilfe haben.
 

 

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Fotos: Florian Russi

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