Anders die Entwicklung in Westdeutschland. Zum Glück blieb ihm die sowjetisch geprägte Diktatur erspart. Man hatte sich rasch an die Lebensqualität des Westens gewöhnt, wurde Teil davon, der andere Teil Deutschlands versank im Ungefähren. Der 9. November erwischte viele Intellektuelle und Politiker kalt. Immerhin war die Bundesrepublik einverstanden, dass Milliardentransfers, Konjunkturprogramme, Infrastrukturmaßnahmen, Soli in den plötzlich befreiten Osten flossen - angesichts einer vierzigjährigen Entfremdung nichts weniger als selbstverständlich.
Hier höre ich ... die Gegenleistung reklamieren. Was also gewannen die Westdeutschen?
Manches: Das Ende des Kalten Krieges, das Ende der Bedrohung durch eine hochgerüstete Mächtekoalition, die Mobilität in östliche Richtung, die Wiederanknüpfung an gekappte familiäre, kulturelle, historische Bindungen. Aus der Bundesrepublik - bisher ein Halbstaat ohne Identität, kupiert durch die bewaffnete Grenze, Frontlinie des Kalten Kriegs mit kleinem Grenzverkehr, mit einer halbierten früheren Hauptstadt - wurde ein geachteter Staat in der Mitte Europas, in Frieden und Freundschaft mit seinen Nachbarn lebend, eingebunden in den europäischen Zusammenhang. Erstmals in seiner Geschichte, ohne Waffengang, lebt das ganze Land in gesicherter Freiheit und demokratischer Einheit - wenn das kein Äquivalent für die Transfermilliarden ist.
---
Textquelle:
entnommen der Broschüre: „Die Zukunft des 9. November" - herausgegeben von Thomas Kunze, Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., 2010, ISBN: 978-601-278-307-0
Bildnachweise:
- Vorschaubild: "Der Fall der Berliner Mauer" by Lear 21 at en.wikipedia, CC-BY-SA-3.0 via Wikimedia Commons.
- Bild oben rechts: "Mauer nahe Reichtag" by Dr. Alexander Mayer (Eigenes Werk) CC-BY-SA-3.0 via Wikimedia Commons