Wer sollte vor wem geschützt werden?
Autoritäre Systeme entlarven sich immer auch durch ihre Wortbildungen. Dann wird bei den alten Römern aus dem Mittelmeer das „mare nostrum" („Unser Meer"), heißt es im Kolonialismus „wright or wrong - my country" („Ob richtig oder falsch - es geht um mein Land"), wird die Skalverei damit gerechtfertigt, dass die Schwarzen „unzivilisiert" seien oder wird von der NS-Ideologie die Ermordung Behinderter als „Rassenhygiene" verbrämt. Diese Manipulation der Worte und Begriffe hat die Aufgabe, die jeweilige Macht zu rechtfertigen und ihre Ideologie vor der Wahrheit zu schützen. Es handelt sich also um eine begriffliche Verschleierung, beziehungsweise um einen sprachlichen Schutzwall.
Als „antikapitalistischen Schutzwall" bezeichnete die damalige DDR-Regierung die Mauer, die sie am 13. August 1961 rund um Westberlin errichten ließ. Der Name sollte suggerieren, dass kapitalistische Angriffe auf den sozialistischen Staat der DDR abgewehrt werden mussten. In Wirklichkeit wollte deren Regierung verhindern, dass weiterhin Hundertausende von DDR-Bürgern aus ihrem Land flohen und sich über Westberlin in die Bundesrepublik Deutschland absetzten. Im Juni 1961 hatte der Staatsratsvorsitzende der DDR Walter Ulbricht noch in einer Rede verkündet: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten". Doch auch diese Behauptung diente ihm schon als Schutz.
Bis zum Ende der DDR-Herrschaft wurde die Mauer immer stärker befestigt und ergänzt. In Richtung des Staatsgebietes der DDR wurde eine weitere Mauer angelegt. Dazwischen wurden Beobachtungstürme errichtet und Fluchthindernisse wie Gräben und Stacheldrahtverhaue eingefügt. Grenzsoldaten mit Hunden bewachten das Gelände. Ein Entkommen war praktisch nicht mehr möglich. Beim Versuch, es trotzdem zu schaffen, kamen mindestens 135 Menschen ums Leben. Die meisten von ihnen wurden von DDR-Grenzsoldaten erschossen. Besonders traurig ist es, dass darunter auch zwei Kinder von 10 und 13 Jahren waren. Nur wenige Flüchtlinge entkamen durch unterirdische Tunnels oder wurden von Westbürgern in präparierten Autos über die offiziellen Grenzübergänge geschmuggelt.
Am 09. November 1989 verkündete das damalige SED-Politbüromitglied Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz irrtümlich, dass die Mauer von jetzt an für die Bevölkerung der DDR geöffnet sei. Damit löste er einen Ansturm auf die Grenzübergänge und den Beginn des Falls der Mauer aus. Heute zeigen in den Boden gelassene Steine an einigen Stellen deren Verlauf. Ein Teil wurde auch im Original erhalten, bemalt oder von Sprayern besprüht und dient heute als Mahnmal gegen politische Willkür und die zwangsweise Trennung eines Volkes. Zugleich dokumentieren die verbliebenen Reste, dass es in der heutigen Welt nicht mehr möglich ist, freie Gedanken und Wünsche dauerhaft zu verhindern.
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