Unter Linden auf und ab
wallen Herrn in Schritt und Trab,
schöne Herrn und hübsche Herrchen,
große Narren, kleine Närrchen
in Berlin, in Berlin,
wenn die Bäume wieder blühn.
Winter hat wohl auch sein Fest,
kommen Freund aus Ost und West
zu Redout` und Opernschimmer:
doch am schönsten ist es immer
in Berlin, in Berlin,
wenn die Bäume wieder blühn.
Denn die Lieb im Winter friert,
all ihr Feuer ist geziert.
Dann beginnt das rechte Lauschen,
Folgen, Treffen, Blicke tauschen
in Berlin, in Berlin,
wenn die Bäume wieder blühn.
Liebende gehn Arm in Arm
einsam durch den bunten Schwarm,
und es sagt ein Händedrücken
und ein Streifkuss ihr Entzücken
in Berlin, in Berlin,
wenn die Bäume wieder blühn.
Manchmal ist dann wohl Mama,
auch Papa wohl plötzlich da;
doch nicht oft wird sich`s begeben,
denn warum? Man weiß zu leben
in Berlin, in Berlin,
wenn die Bäume wieder blühn.
Mutter spricht zu Vater dann:
„Schatz, das Mädchen wächst heran!
Kind, der Jung hat Bart bekommen!"
Seht, so wird das Ding genommen
In Berlin, in Berlin,
wenn die Bäume wieder blühn.
Will das Pärchen nicht mehr gehn,
Bänke sieht es ringsum stehn,
und der Abend haucht so lieblich,
und das Küssen ist so üblich,
in Berlin, in Berlin,
wenn die Bäume wieder blühn.
So verfliegt die schöne Zeit,
bis der Wächter Elfe schreit;
dann nach Hause geht`s bedächtig,
und man scheidet mitternächtig
in Berlin, in Berlin,
wenn die Bäume wieder blühn.
Drum wer Freud an Freude hat,
walle nach der Lindenstadt:
Ander Land mag andres üben,
leben kann man nur und lieben
in Berlin, in Berlin,
wenn die Bäume wieder blühn.
Friedrich Heinrich Bothe (1771-1855)
Unter den Linden
Unter den Linden, vom Pariser Platz
An, unter und neben den kleinen Linden,
Kann jedes Mädchen einen Schatz
Ganz leicht finden.
Da wird einem so gut wie zu Hause zumut.
Denn ganzen Tag tönt dort
Autogetut.
Aber alles versöhnt dort.
Da schwingt im Takt einer Einigkeit
Der Asphalt unter den Füßen.
Und Neuzeit, gute und alte Zeit
Gehn hell vorüber und grüßen.
Unter den Linden
Schwindet der Haß,
Sieht man immer etwas
Um die Ecke verschwinden.
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Joachim Ringelnatz 1883-1934