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Wir machen Theater

kurze Theaterstücke für integrative Kindergruppen

Christina Lange und Florian Russi

Eine ganz kleine Novelle

Adolf Glassbrenner

Der Rentier Puse, ein Mann in den Vierzigern, von kleiner Statur, ein wenig beschränkt und häßlich, gedenkt sein Witwer-Leben zu beschließen und läßt folgendes „Heirats-Gesuch" in die Zeitungen rücken:
„Ein Mann nicht ganz ohne Mittel in den besten Jahren sucht eine Lebensgefährtin zur Ehe, die wo möglich auch Mittel hat. An stillen Lauf gewöhnt, fehlt es ihm an Ausbreitung seiner Bekanntschaft und daher Einschlagung dieses Weges unter der besten Diskretion. Adressen unter „O. W." nimmt das Intelligenz-Comtoir an."
Schon am nächsten Tage findet Herr Puse eine Adresse, welche ihm das Glück seines Lebens bringen soll; er nimmt zu diesem Zwecke eine Droschke und fährt bezeichnetermaßen nach der Padden-Gasse Nr. 79, zur Witwe Pinkert. Er findet diese Ehestands-Kandidatin auf dem Hofe mit Aufhängen der Wäsche beschäftigt und überzeugt sich sogleich, daß auch sie über die ersten Jugendtorheiten hinaus ist, und sich einer erstaunenswerten Magerkeit, schlechter Zähne, einer sehr langen Nase und böser Augen erfreut. Im Übrigen hat sie alle Vollkommenheiten einer verblühten Schönheit, und drückt durch ihr Betragen so viel Jugend aus, als man ihr kaum zutrauen möchte, sie je besessen zu haben. Herr Rentier Puse ist sehr unangenehm überrascht und findet seine Adressatin schrecklich; indessen erlaubt ihm sein höchst bescheidener und ängstlicher Charakter nicht, ihre Einladung, die kleine Holztreppe hinauf zu folgen, abzulehnen, und er klettert deshalb mit Hilfe seines dicken Bambus nach. Hier oben entspinnt sich folgendes Gespräch:

Mad. Pinkert (immer sehr sicher und sehr schnell redend): Sie sind also der Herr, der das Heiratsgesuch hat inricken lassen? Wie is denn Ihr werter Name?
 
Puse (immer sehr verlegen): Puse, Rentier. Früher war ick Strumpfwirker, jetzt hab ick mir aber zurückjezogen. Un Sie, wenn ick fragen darf?

Mad. Pinkert:
Sie wissen ja schon meinen Namen, Herr Puse.

Puse:
Ja, des woll, aber Ihre andern Umstände kenn ick nich.

Mad. Pinkert:
Ick bin schon seit sieben Jahren Witwe, mein Mann war Briefträger und starb jleich anderthalb Jahre nach unsre Verheiratung.

Puse (sie groß ansehend):
So? - Ach, des is schade!

Mad. Pinkert:
Mein Vermöjen besteht freilich man blos aus fünfhundert Dhaler, aber ick habe wirtschaften jelernt un wees mir einzurichten, un dieses kennen Sie mir jloben, Herr Puse, eine bessere Hausfrau kriejen Sie in Ihren janzen Leben nich. Wie viel haben Sie denn?

Puse:
Ick? Ich habe so jegen sechshundert Dhaler Zinsen.

Mad. Pinkert:
Nanu sehn Se mal, mein lieber Puse, das würde sich ja sehr jut mit uns Beede machen, wenn ick Ihnen überhaupt anstehe. Sie haben des Ihrige, u nick, natürlich is es wenig, aber es macht sich doch. Bitte, setzen Sie sich doch! Ne, nich da! Kommen Se man hier uf den Stuhl neben mir! So! Sehen Se woll; wenn wir erst verheiratet sind, un de Küche un allens is in Ordnung, da können wir ofte so unser stilles Jlick jenießen.

Puse:
ja woll! Also - (er weiß vor Verlegenheit nicht was er sagen soll) Sie meinen, Ja, eijentlich - natürlicherweise - man kann sich ja jejenseitig überlegen, man muß sich doch eijentlich erst kennen lernen. Sie fangen auch mit einem P. an. Was war denn Ihr werter Mann?

Mad. Pinkert:
Ick habe es Ihnen ja schon jesagt: Briefdräjer!

Puse:
Ach ja, ja richtig. Briefdräjer, richtig! Er war woll bei de Post anjestellt?

Mad. Pinkert:
Na, wo denn sonst? Sie sind woll manchmal een bischen zerstreut, diskret,
Pusechen? (Sie streichelt ihm die Wange) Na, schadt nischt, des wird sich später alles finden. Was ist denn Ihr Lieblingsgerichte, Pusechen?

Puse:
Quetschkartoffeln un Karmnade, un Sauerkohl un Bratwurscht.

Mad. Pinkert:
Das ist aber merkwürdig, liebes Puselchen, wie wir darin Sympathie! Quetschkartoffeln mit Karmnade, sehen Sie, des is vor mir eine wahre Wonne, un mit Sauerkohl und Bratwurscht kann mir Eener in meine letzte Stunde noch vergnügt machen.
Und wie ick Ihnen die beeden Jerichte koche, da solln Sie Ihre Freude dran haben. Sagen Sie mal, wie is es`n mit Hammelfleisch mit Bollen?

Puse: O, des eß ich auch recht jerne, aber recht saftig muß es sind, und recht viel Bollen.

Mad. Pinkert: Ja, versteht sich; un wie is es`n mit Milchreis un Schweinebraten?

Puse: Ne, Madam Pinkerten, mit Schweinebraten kann mir Eener jagen; der is mir zu fett.
Die Kruschte oben druf, det wär`noch des Eenzige, wenns recht knusperig is, aber det lohnt doch nich der Mühe, det Sie Schweinebraten, wenn Sie ihm jar zu jerne essen, vor uns machen.

Mad. Pinkert:
Ne, ach Jott, um meinetwegen man jar nich. Ick habe `s ja man bloß Ihretwegen, denn ick un Schweinebraten, wir Beede können uns jarnich besehn. Wie is es denn, essen Sie denn alle Dage een Süppken, Puselchen?

Puse:
Nein, liebe Madam Pinkerten, damit bemühen Sie sich nich. Ick mache mir nich viel aus Suppe.

Mad. Pinkert:
A propos, Puselchen, sind Sie denn mit Ihr Lojis so einjericht`t, daß eine Frau jleich noch da wohnen könnte? Oder haben Sie man, was Sie vor sich brauchen?

Puse:
Ne, ne, janz bequem kann ick `ne Frau bei mir platzieren. Meine fünf Kinder wohnen ja ooch alle bei mir, ick erziehe sie ja selbst, un des Dienstmädchen ooch.

Mad. Pinkert:
Also sie haben ooch Kinder; nu seh! Ja ick ooch, ick habe aber man zwee Stück, die sind jetzt in de Schule. Ach, hören Sie mal, Puselchen, wissen Se was, ick wer`mir mal jleich den Umschlageduch umbinden un den Hut uffsetzen, un mit Ihnen jehen, um mir das Quartier anzusehen.

Puse:
Schön, des dhun Sie, Madam Pinkerten! Ick will Ihnen alles zeijen, wat ick habe. Vorne eene Stube mit een Fenster un eene mit zwee Fenstern, denn kommt en langer Alkowen, der`n bisken finster is, denn kommt eine jroße Hinterstube mit een Fenster, denn kommt de Küche, die Ihnen sehr jut jefallen wird, un denn is janz hinten noch `ne Kammer, wo`t Mädchen drin schläft. Erlauben Se, des ick Ihnen behilflich bin! - (Er hilft ihr das Tuch umnehmen.)

Mad. Pinkert:
Bitte, bitte, ick danke Ihnen! Na, wenn Ihnen u jefällig is?

Puse:
Derf ick Ihnen meinen Arm anbieten, werte Madam Pinkerten? So, fassen Se mir
unter.

Mad. Pinkert
(indem sie die Treppe hinuntersteigen): Sie sind sehr nobligant, lieber Puse, ich freue mir wirklich sehr auf unsere Ehe.

Puse:
Bitte, ick mir auch.

Sie gehen in die Wohnung des kleinen Rentiers. Madame Pinkert spielt die Aufmerksame und Liebevolle, läßt ihre beiden Kinder aus der Schule holen, speist zu Abend mit ihrem Freier, und zeigt viel taktische Kenntnisse, namentlich in Hinsicht auf Angriff und Belagerung.
Schon einmal hatte sich Puse auf solche Weise überrumpeln lassen, und in einer zehnjährigen unglücklichen Ehe Muße gefunden, seinen leichtsinnigen Schritt zu bereuen.
Trotzdem gestaltet diese Geschichte sich so, wie es, in Berücksichtigung der Charaktere, leicht vorauszusehen war. Er, Puse, der Rentier, ist zu ängstlich, der windgeflügelten Ehewut der verwitweten Frau Briefträger männlich entgegen zu treten; er wagt es kaum zu denken, daß ihre physischen und geistigen Eigenschaften ihm unangenehm erscheinen, geschweige es ihr zu sagen, und so wird er, von Liebkosungen und Aufmerksamkeiten halb erstickt, ohne Erbarmen vor den Altar geschleppt, wo er mit beklommener Brust sein Ja ausspricht.
O schnöde, unvollkommene Welt! Puse hat zweimal geheiratet und nie geliebt!

 

 

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Aus „Die Großmeister des Berliner Humors in alter und neuer Zeit" herausgegeben von
Dr. Adolph Kohut, Berlin 1915 A. Hofmann & Comp.

gefunden von Hannelore Eckert

 

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