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Mitgelaufen

Christoph Werner

Das Buch „Mitgelaufen“ ist nicht wie andere Bücher über das Leben in der DDR. Hier liegt nicht der Fokus auf Mangelwirtschaft, einer allmächtigen Partei und der Staatssicherheit. Der Autor ist auch kein Opfer des Regimes, dem schreckliches widerfahren ist. Er gehört zu der großen Masse derjenigen, die sich als Rädchen im Mechanismus der DDR-Diktatur gedreht haben. Christoph Werner bricht mit seinem Buch das Schweigen der Mitläufer. Er stellt sich seiner eigenen Vergangenheit und dem Wissen, dass er selbst durch seine Zurückhaltung oder auch lautstarke Zustimmung das alte System lange am Leben erhalten hat. Jahrzehnte nach dem Mauerfall eröffnet er damit vor allem der heranwachsenden Generation, welche die DDR nur noch vom Hörensagen kennt, einen ganz neuen Blickwinkel auf ihre Geschichte.

Ohne Anklage und ohne den Versuch der Rechtfertigung wagt er eine kritische Betrachtung aus dem eigenen Erleben und gewährt Einblicke in eine vergangene Zeit.
Möge der Leser nicht mit dem Zeigefinger auf ihn zeigen, sondern sich fragen, wie oft er heute selbst dem Mainstream folgt oder mutig zu sich selbst und seiner Meinung steht.

Frau Schlächtermeister Buggenhagen

Frau Schlächtermeister Buggenhagen

Frau Buggenhagen war ein stadtbekanntes Original. Ihr größter stolz war ihr Sohn. Der wollte und sollte Schauspieler werden, und da er ein stattlicher und hübscher junger Mann war, so hatte ihn Iffland als Schüler angenommen und ließ ihn im Chor mitwirken, bemühte sich aber völlig vergebens, ihn auch nur für kleinste Rollen brauchbar zu machen. Frau Buggenhagens stadtbekannte Mutterliebe wurde von vielen Nachbarinnen in schnöder Weise ausgebeutet. Obgleich sehr wohlhabend, bediente die resolute Frau doch von morgens bis abends die Kunden höchst eigenhändig. Da kamen dann die schlauen Weiber, forderten „vorn Jroschen" Wurst, Speck oder Schinken, und ehe Mutter Buggenhagen abschneiden konnte, begann die geriebene Kundin den Sohn sehr lebhaft zu loben. Sofort erstrahlten Mutterns Augen vor Freude und Stolz, und das abzuschneidende Stück Wurst, Speck oder Schinken verdoppelte seine Größe! Und je wärmer die Kundin lobte, desto mehr wuchs das Kaufobjekt, bis es endlich zwei- oder dreimal so groß war, als der „Jroschen" bezahlte. Und wenn die Kundin recht feurig mit en Himmel gedrehten Augen gelobt hatte, dann schob die glückstrahlende Mutter auch noch den Groschen zurück und sagte liebenswürdig:" Ach Jott,

Liebste, lassen Se doch man sind!" Einst hatte sie Verwandtenbesuch aus der Provinz, dem sie freudestrahlend mitteilte, dass gerade an diesem Abend ihr Sohn im königlichen Theater mitwirke. Natürlich gingen alle hin. Der Sohn stellte im Chor einen Ritter dar und sah wirklich  tattlich und schön aus. „Da, da! Des is mein Sohn! Der da mit dem prachtvollen roten Mantel und den joldenen Panzer!" „Aber der redet ja janich." „Ja, een bisken maulfaul ist er immer. Aber warten Se`t man ab." Aber alles Abwarten war vergebens - er blieb stumm. Mutter wurde sehr unruhig, und als das Stück zu Ende war, sagte sie fast weinend: „Es is`n Jammer mit dem Jungen! Er is mal wieder ticksch! Ich sage Ihnen, eene Seele von Mensch, aber wenn er ticksch is, denn könn'n Se`dotschlagen, und Se kriejen keen Wort aus ihm raus!"

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Aus „Hundert Jahre Berliner Humor", gesammelt von Gustav Manz, Verlag der Lustigen Blätter, Dr. Ensler& Co , Berlin 1916

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