Um dieselbe Zeit hatte in Berlin die Hausdiebstähle so überhand genommen, dass der König in seinem Zorne den harten Befehl gab, den ersten, der sich wieder dieses Vergehens schuldig machen würde, ohne weiteres vor dem Hause, in welchem er den Diebstahl begangen, am Galgen aufzuhängen. Kaum war der Befehl bekannt geworden, als abermals ein Diebstahl ruchbar wurde. In dem Hause Brüderstraße 10, wo der Minister von Happe wohnte, wurde ein silberner Löffel vermisst. Niemand wusste, wo er geblieben war, bis der Verdacht endlich auf ein armes Dienstmädchen sich lenkte, das erst vor kurzer Zeit in Dienst getreten war. Obgleich es nun unter Tränen seine Unschuld standhaft beteuerte, so konnte es doch seinem Schicksal nicht entgehen, da zufällig alle Umstände dagegen sprachen.
Zwar war es dem Minister selbst unangenehm, dass gerade vor seinem Hause eine solche Hinrichtung stattfinden sollte; doch musste er`s geschehen lassen; denn der König hatte es befohlen. So wurde denn das Mädchen einem eigens dazu aufgerichteten Galgen, einem Schandpfahl mit einem Arm, dicht vor der Tür des Hauses aufgehängt. Bald kam jedoch die Unschuld des Mädchens an den Tag. Der Dieb war nämlich eine im Hause gehaltene zahme Ziege, die, wie alle Ziegen, eine Liebhaberin glänzender Gegenstände war, den Löffel vergraben hatte und nun wieder herbeibrachte. Welch ungeheures Aufsehen die Geschichte in Berlin machte, lässt sich denken! In Scharen drängten die Menschen sich vor das Haus, um die Ziege, den Löffel und den Ort zu sehen, wo er gelegen hatte. Der Minister konnte und wollte nicht länger in dem Hause wohnen bleiben und bot es billig zum Verkauf an; aber niemand wollte das „Galgenhaus", wie man es fortan spottweise nannte, kaufen, und er wäre es gewiss nicht losgeworden, wenn`s nicht der Magistrat von Berlin auf Wunsch des Königs erstanden hätte, der nun auch die Verordnung zurücknahm. Noch lange blieb vor dem Hause eine Spur jenes Ereignisses zu sehen, nämlich das Loch, in welchem der Galgen gestanden hatte. So oft man auch die Stelle zupflasterte, immer wieder fand man die Steine herausgerissen, bis man endlich ein richtiges Kellerloch zum Einschütten von Holz und Kohlen daraus machte und ein Eisengitter darüber legte.
entnommen aus „Berliner Heimatbücher"
Berliner Sagen und Erinnerungen
Gesammelt von Otto Monke
Verlag von Quelle und Meyer in Leipzig 1926
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