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Kennst du Gotthold Ephraim Lessing?
vorgestellt von Jürgen Krätzer

Jürgen Krätzer eröffnet uns eine neue Sicht auf den Autor. Lessing entpuppt sich als schulverdrossener Aufrührer, als Student in „schlechter Gesellschaft" und als leidenschaftlicher Glücksspieler, der sich von Job zu Job hangelt. Bewusst stellte er sich gegen die damaligen Erwartungen und prangerte die Scheuklappen der Gesellschaft an. Krätzer zeigt dies anhand unkonventioneller Fabeln und Gedichte, seiner Kritiken und Briefe. Zugleich setzt er sich mit Lessings neuartiger Theatertheorie und den aufklärerischen Werten in seinen Dramen auseinander. Dabei gelingt es ihm aufzuzeigen, wie relevant und modern deren Themen noch heute sind.

Das Steinkreuz an der Marienkirche

Das Steinkreuz an der Marienkirche

1. Der Baumeister und der Teufel

Am Turmeingang der Marienkirche steht ein Steinkreuz; das ist fast 600 Jahre alt. An demselben bemerkt man vorn fünf Löcher; darin waren früher die Eisenstäbe der „ewigen Lampe" eingelassen, die Tag und Nacht brennen musste. Über die Setzung des Kreuzes wird mancherlei erzählt. So soll einst der Baumeister, als die Kirche fast vollendet war, mit dem Teufel sich eingelassen und im Kartenspiel die gesamten Baugelder verloren haben. Der Teufel gab ihm zwar alles zurück; doch musste der Baumeister dafür versprechen, beim Bau der Gewölbe einen Fehler zu machen, so dass diese am Einweihungstage über den Gläubigen zusammenbrächen, denn der Teufel hasste die frommen Leute.

Der Baumeister dachte aber, den Teufel zu betrügen, und führte die Gewölbe vorschriftsmäßig aus. Als nun die Einweihungsfeier vorüber war, lauerte der Teufel an der Tür. Zuletzt kam der Baumeister heraus; da griff der Teufel zu und drehte ihm den Hals um. Zum Andenken daran soll das Kreuz errichtet worden sein.

2. Der Baumeister von St. Marien

Andere erzählen, die Marienkirche sollte das schönste Bauwerk Berlins werden. Um das zu erreichen, schloss der Baumeister mit dem Teufel einen Bund und verschrieb ihm seine Seele. Der Teufel hielt auch sein Versprechen und baute die Kirche, so gut er konnte; darum ist sie die schönste von allen Kirchen Berlins. Als nun der Bau fertig war, stieg der Baumeister auf den Turm, um das Werk zu überschauen. In seiner Freude über die glückliche Vollendung sprach er ein herzliches Dankgebet. Der Teufel war ihm jedoch gefolgt, um ihn durch die Lüfte zu entführen. Als er nun den Namen Gottes anrufen hörte, verlor er seine Macht, und es gelang ihm nur, den Baumeister vom Turme zu stoßen. Doch geschah dem Manne kein Leid; denn ein Windstoß fasste seinen weiten Mantel und blähte ihn auf, so dass der Baumeister langsam niederschwebte .Zum Dank für seine wunderbare Errettung wurde das Kreuz dann errichtet.

3. Der Teufel und der Zinkenbläser

Es wird aber auch gesagt, ein Zinkenbläser sei am ersten Sonntag nach Vollendung der Kirche in der Frühe auf den Turm gestiegen. Dort oben blies er ein Lied zu Gottes Ehre. Das ärgerte den Teufel; deshalb warf er den Mann vom Turme herab. Doch blähte ein Windstoß den Mantel des Zinkenbläsers auf, der nun sanft herniederglitt. Zur Erinnerung an die glückliche Errettung errichtete man später das Kreuz.

4. Der Dachdecker

Ferner wird erzählt, dass ein junger Dachdecker, der den Turm oder das Dach ausbessern sollte, jählings abgestürzt und zu Tode gekommen sei; zum Andenken habe man das Kreuz errichtet...

5. Propst Nikolaus von Bernau

Die meisten aber halten das Kreuz für ein Wahrzeichen aus der Zeit der Markgrafen und sagen, die Berliner hätten es zur Strafe oder Sühne setzen müssen, weil das Volk den Propst von Bernau erschlagen hatte. Das wird schon seine Richtigkeit haben; aber was den Zorn der Berliner so erregte, dass sie sich zu einer so unseligen Tat hinreißen ließen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Propst Nikolaus von Bernau soll in Berlin den Zehnten mit großer Härte eingetrieben und sich dadurch verhasst gemacht haben. Doch heißt es auch, er sei ein Anhänger des Herzogs Rudolf von Sachsen gewesen, der nach Markgraf Waldemars Tode Ansprüche auf die Mark machte, während die Berliner zu ihren Landesherren, dem Markgrafen Ludwig dem Älteren, hielten. Da erschien Propst Nikolaus in Berlin, ging in die Marienkirche und hielt eine donnernde Rede gegen die Berliner, weil sie den Herzog Rudolf nicht anerkennen wollten. Dabei nannte er sie „Verblendete" und „Schurken". Es war aber an dem Tage gerade Markt in Berlin und viele Menschen hatten sich auf dem Platze bei der Marienkirche eingefunden. Bald pflanzte sich die Rede des Propstes von Mund zu Mund fort bis zu der Menge draußen auf dem Neuen Markte. Die Leute drangen in die Kirche, holten den Propst von der Kanzel, zerrten ihn bis zur Tür und erschlugen ihn. Dann errichteten sie auf dem Neuen Markte einen Scheiterhaufen und verbrannten die Leiche. Das geschah wahrscheinlich am 16. August 1325. Es wird auch gesagt, der Propst habe zwar noch Zeit gehabt, in die Propstei zu flüchten, sei aber von dem wütenden Volkshaufen herausgeholt und auf dem Neuen Markte lebendig verbrannt worden.

Nun wurde der Bann über Berlin ausgesprochen; es durften keine Glocken geläutet, Brautpaare nicht getraut, Kinder nicht getauft werden, und kein Priester folgte dem Sarge. Erst 10 Jahre nach dem Morde wurde festgesetzt, dass die Berliner zur Sühne eine hohe Summe Geldes zahlen, in der Marienkirche einen neuen Altar bauen und an der Stelle des Mordes ein 2 Faden (3 bis 4 Meter) hohes Steinkreuz mit einer ewigen Lampe errichten sollten. Trotzdem lastete der Bann noch 12 Jahre weiter auf der Stadt.

entnommen aus „Berliner Heimatbücher"
Berliner Sagen und Erinnerungen
Gesammelt von Otto Monke
Verlag von Quelle und Meyer in Leipzig 1926

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Fotos: de.wikipedia.org/wiki/Interdikt_(Kirchenrecht)

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