Als die Reformierten ihres Glaubens wegen aus Frankreich vertrieben wurden, kamen ihrer viele nach Berlin. An der Friedrichsgracht wurden ihnen Wohnungen angewiesen. Unter den Flüchtlingen befand sich auch ein Vater mit neun Töchtern. Die konnten fein sticken und nähen; aber spitzer als die Nadeln waren ihre Zungen. Sie klatschten gern und wussten jedem etwas Böses anzuflicken. Die neun Jungfrauen wuschen auch sauber und geschickt; fingen sie jedoch an zu reden, so mochte niemand das Gewäsch mit anhören. Darum kriegten sie auch keinen Mann, und wie die Leute erzählen, sind alle neun sitzen geblieben. Das muss wohl wahr sein; denn die Brücke in der Nähe ihres Hauses heißt noch heute die Jungfernbrücke. Wer damals eine Neuigkeit hören wollte, dem riet man wohl: „Geh zu den Jungfern an der Brücke!" Manche haben den Namen der Brücke auch anders zu erklären versucht. Da soll einst ein Mann in der Dunkelheit aus Eifersucht ein Mädchen erwürgt und in die Spree geworfen haben, weil es einen anderen heiraten wollte. Nur ein Blinder hatte den Wortwechsel der beiden gehört. Zwar geriet der Bräutigam des Mädchens in den Verdacht, den Mord begangen zu haben; doch vor Gericht kam die Wahrheit durch den blinden Zeugen an den Tag. Denn als der Täter, dessen Wohnung in der Nähe der Brücke lag, als Zeuge vorgeladen wurde und seine Aussage machen wollte, erkannte ihn der Blinde sofort an der Stimme. So kam die Sache heraus und der Mörder büßte seinen Frevel auf dem Richtplatz.
entnommen aus „Berliner Heimatbücher"
Berliner Sagen und Erinnerungen
Gesammelt von Otto Monke
Verlag von Quelle und Meyer in Leipzig 1926
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