Wer den Berliner und seine Sprache richtig und gut kennenlernen will, darf sich nicht auf das Volkstümliche beschränken, darf sich nicht nur um die Art kümmern, wie sie in den einfachen und ärmeren Schichten sich äußert. Berlin hat eben verschiedene Arten des Berlinertums.
Selbstverständlich wird in den gebildeten Schichten nicht so hemmungslos berlinert wie etwa in den Destillen. Aber ganz kann sich kein Berliner dem Geiste der Reichshauptstadt entziehen. Irgendwo und irgendwann kommt immer die berlinerische Schlagfertigkeit, der berlinerische Ton zum Vorschein. Im allgemeinen dient dieser Tonfall dazu, einen vertraulicheren Umgang herzustellen. Jedoch wird er auch manchmal dazu gebraucht, um die Pointen des Gesprächs zu verdeutlichen und zu verschärfen. Diese Tendenz kommt ganz amüsant in den meisten Anekdoten vom Maler Max Liebermann zum Ausdruck. Dieser Präsident der Preußischen Akademie der Künste ist ein geborener Berliner. Er wohnt schon seit seiner Jugendzeit im gleichen Hause am Pariser Platz, also an einer sehr repräsentablen Stelle. Und er repräsentiert das Berlinertum in vornehmster Weise. Er musste im Jahre 1866 seine Unterrichtsstunden beim Maler Steffeck unterbrechen und die Lücken in seinem Wissen auffüllen - um dann im Herbst mit „Ach und Krach" sein Abitursexamen zu bestehen. Die Eltern, beglückt, ihn so weit zu haben, machten mit ihm eine Reise in die Schweiz. Er fuhr zum ersten Mal ins Gebirge und freute sich auf die Erlebnisse der Bergwelt.
Aber zum Ärger des Vaters meinte Max enttäuscht: „immer, wenn man wat sehen möchte, kommt een Berg!" Das hört sich an, als solle die Großartigkeit der Bergwelt herabgesetzt werden. Es ist aber ganz anders gemeint. Im Grunde genommen hatte Liebermann natürlich eine große Begierde nach den Schönheiten der Bergwelt. Aber er ärgerte sich über die Berge, die sich ständig vor die Aussicht schoben. Und so formulierte er seine Empfindung in diesem klassischen Satz.
Er benutzt das Berlinerische nur, weil er das, was er sagen will, schärfer hervorheben kann und will. Um die Art zu zeigen, wie ein wirklich gebildeter Berliner das Berlinerische anwendet und wie sich dadurch bei einem gewissen Anklang an das Volkstümliche doch das, was er sagen will, steigert, seien hier eine Anzahl Anekdoten wiedergegeben, die ich in meinem Liebermannbuch veröffentlicht habe:
„Eines Tages sagte mir Steffeck, ich solle nach einem gefallenen Gaul, der irgendwo im Stall lag, `ne Ölstudie machen. Ich geh hin - da liegt der Kadaver und stinkt. Das Vieh war schon in Verwesung überjejangen. Die Luft war jradezu verpestet. Na - ich hielt aus - und malte. Als ich fertig war, war mir entsetzlich übel. Ich ging nu zurück und übergab die Studie - und mir ooch!"
Liebermann betont immer wieder, dass ihm Übertreibung und Sentimentalität zuwider sind; es sei besser, gefühllos als sentimental zu erscheinen. Er ist also der echte Berliner. Wer aber dem echten Berliner Gefühl absprechen will, würde einen Fehlspruch tun. In Liebermanns Leben und Schaffen sprudelt immer wieder echtes Gefühl hervor. Die Kinderbilder, die Tierbilder, die unendlich vielen Blätter, die er von ihm Nahestehenden Gezeichnet und immer wieder gezeichnet hat, künden von einer großen Fähigkeit zur Liebe. Wie er zur Kreatur steht, kann man stets beobachten, wenn man mit ihm zusammen ist. Immer ist sein Dackel da - und wird verwöhnt.
„...Also: Jurysitzung; alle Säle, alle Wände stehen voll von Bildern, die `Butterseite` zur Wand gekehrt, viele - viele hundert. Die Diener nehmen immer ein Bild, tragen es zur Jury und die meisten wandern in die Totenkammer.- Währenddessen rast der Dackel durch die Säle, er hat heute seinen Renntag - alle zwei Minuten kommt er bei der Jury vorbeigelaufen. Da wird das große Werk Liebermanns `Samson und Dalila` hereingebracht und an die Wand gestellt. Es wird nicht juriert - aber alle Jurymitglieder stehen davor - die meisten sehen es zum ersten Mal. Gerade jetzt kommt der Dackel wieder angerast- er hemmt seinen Lauf, geht zu Liebermann, der ihn streichelt, dann geht er langsam zu dem großen Bild - ganz langsam watschelt er von einem Ende des Rahmens zum anderen, bleibt dort stehen, schnuppert an der frischen Ölfarbe und - hast du nicht gesehen - hebt ein Bein! Kulicke, der alte Hausdiener, das sehen und mit einer Brechstange auf den Dackel los und ihn verscheuchen, ist eins. „Ne -so wat!" entringt es sich seiner tiefgekränkten Brust. Wir andern lachen fürchterlich. Und Liebermann sagt:" Ach, Kulicke, lassen Se man das Vieh - wer weeß, ob die Kritiker det Bild besser behandeln werden!"
Max Liebermann sollte Anfang der neunziger Jahre Kritiker werden. Als Maximilian Harden seine „Zukunft" gegründet hatte, kam er zu Max Liebermann. Liebermann sollte Kritiken über Maler schreiben. Liebermann antwortete, er könne das nicht. Harden meinte: Gerade er könne das. Er sei doch sachverständig. Er habe doch ein großes Ziel: die wirkliche Kunst, die ehrliche Malerei. Da sagte Liebermann: „Nee, ick will mir nich verzanken, ick will malen!"
Liebermann kommt von einer Reise aus Italien zurück und stellt fest: „Denken Se, et is jar nich so kitschig, wie die Leute immer tun." In einer Gesellschaft erzählt die Gattin eines Malers von einem französischen Herrensitz. Sie schildert das Portal mit einem Wappenspruch, die feierliche Herbststimmung, die vornehme Schloßarchitektur - und alles hört lautlos zu. Da platzt Liebermann in die Stille hinein: „Det is ja jrade wie im Jrunewald. Da war een Haus mit`n Spruch: Klein aber mein. Und davor war`n Schild: Diese Villa ist zu verkaufen!" Liebermann hat für das Rathaus in Altona Entwürfe zu Wandgemälden gemacht, die „Vier Jahreszeiten". Jemand sagt zu ihm, er hätte besser ein Thema aus der Geschichte der Stadt wählen sollen. Aber Liebermann meint:"Ja, wat is denn in Altona anderes passiert als die vier Jahreszeiten?"
Ein Kollege nimmt sich eine Zeichnung von Liebermann vor, wendet sie hin und her und fragt dann den Künstler, womit er das gezeichnet habe. Liebermann:"Mit Talent!" Liebermann erzählt: „Als Paul Meyerheim hörte, ich wollte Maler werden, da sagte er zu mir: `Wat, Maler wollen Se werden? Bilder koofen soll`n Se.`" In der Zeit des Kunstkampfes wurde Liebermann nach seiner Meinung über den lautesten Gegner der neuen Kunst, über Anton von Werner, gefragt. Er antwortete:"Ick sage immer, wenn Anton von Werner ooch ohne Hände jeboren worden wäre - denn hätte er doch die jrößte Schnauze!"
Ein neuer Reicher wollte seine Frau von Liebermann malen lassen und bat ihn, sich vorher die Wand anzusehen, an die das Bild kommen solle, damit es sich gut in den Raum einfüge. „Mach ick nich. Sollten sich lieber um`s Porträt herum det Haus bauen lassen." Eine Dame hat Liebermann besucht und verabschiedet sich: „Herr Professor, das war die schönste Stunde meines Lebens." Max:" Na, junge Frau, det wollen wir nich hoffen." Liebermann ist eines Tages in Gesellschaft mit einem berühmten Komponisten zusammen, der gerade zum fünften Mal geheiratet hat und seine neue Gattin der Gesellschaft vorführt.
Liebermann wird vom Hausherrn gefragt, ob er nicht dieser neuen Gattin des großen Tonkünstlers vorgestellt zu werden wünsche."Nee, danke," antwortet der Meister," die übersping ick." Sehr bezeichnend ist ein Auspruch aus dem Herbst 1929: Eine Kunstschriftstellerin besuchte ihn, als er aus seinem Wannsee-Landhaus nach seiner Wohnung am Pariser Platz zurückgekehrt war. Sie fragte nach seinem Befinden."Ach," antwortete er, „nich jut. In diesem Sommer haben se mir fünfzehn Bilder bezahlt. Ick habe aber bloß dreizehn neue jemalt!"...
----
Quelle:"Berlinerisch" R.Piper & Co, Verlag München 1932
gefunden von Hannelore Eckert
Foto: Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Liebermann