Der Vertreter des Papstes hat in der Regel den Rang eines Botschafters und führt den Titel Apostolischer Nuntius. In Staaten, in denen die katholische Kirche eine wichtige Rolle spielt (wie in Deutschland) ist er zugleich Doyen (Sprecher) des Diplomatischen Corps, das er damit in protokollarisch herausgehobener Form an erster Stelle vertritt. Mit dem Umzug der Bundesregierung verlegte er 2001 seinen Dienstsitz von Bonn nach Berlin. Das Amt des Apostolischen Nuntius in Deutschland bekleidet seit 2007 ein Schweizer, Erzbischof Jean-Claude Périsset, der zuvor schon Nuntius in Rumänien und Moldawien war. Seine Aufgaben liegen einerseits in der Pflege der deutsch-vatikanischen Beziehungen, andererseits vertritt er den Papst gegenüber den deutschen Ortskirchen, vor allem gegegenüber der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.
Für all diese Aufgaben ist die Nuntiatur in 10965 Berlin, Lilienthalstraße 3a, die sowohl die Residenz wie die Kanzlei der Vertretung beherbergt, zuständig.
Eine Nuntiatur beim Deutschen Reich wurde erst 1920 geschaffen. Sie wurde dem hochrenommierten päpstlichen Diplomaten Eugenio Pacelli übertragen, der bereits seit 1917 Nuntius in Bayern war und von dort aus auch die diplomatischen Kontakte zum Deutschen Reich wahrgenommen hatte. Erst 1925 siedelte er nach Berlin über, wo er auch die neue Funktion des Nuntius in Preußen übernahm. 1939 wurde er Papst (Pius XII.). In Berlin bezog er eine äußerst repräsentative Residenz im vornehmen Dahlem. Die Straße wurde nach dem Kriege zu seinen Ehren in Pacelliallee umgetauft. Das Gebäude aber gab die katholische Kirche Berlins auf, da die Nuntiatur ihren Sitz dann in Bonn hatte. Also mußte nach der Wiedervereinigung ein anderes Domizil gefunden werden. Groß war der Vorrat der katholischen Kirche an geeigneten Grundstücken in zentraler Lage Berlins nicht. Die weltlichen Botschaften konnten demgegenüber oft ihre alten Gebäude oder Grundstücke beziehen oder neue in eleganter Lage erwerben, z.B. am Tiergarten, im zentralen Umkreis des Auswärtigen Amtes oder wieder in Dahlem. Der Heilige Stuhl wählte ein Grundstück am „Südstern", das der Kirche gehörte. Dies ist eine freundliche Oase dicht neben dem volkstümlichen Park Hasenheide an der Grenze zwischen den beiden traditionellen Arbeiter- und Zuwandererbezirken Neukölln und Kreuzberg. Sicherlich kein Diplomatenviertel. Die Nuntiatur konnte damit ein Zeichen setzen, daß sie sich nicht als eine elitäre Institution versteht, sondern für alle Probleme des Gastlandes offen ist.
Der Nuntiaturbau, der rechtzeitig zum Umzug 2001 fertig wurde, liegt direkt neben der Sankt-Johannes-Basilika, der größten katholschen Kirche in Berlin (sie übertrifft räumlich sogar die Sankt-Hedwigs-Kathedrale im Zentrum). Das neue Gebäude ist auf die benachbarte Basilika ausgerichtet und harmoniert daher gut mit dem Kirchenbau des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der seinerseits durchaus eindrucksvoll ist. Deshalb lohnt sich ein Besuch am Südstern. Die Nuntiatur strahlt nach außen eine schlichte Schönheit aus. Sie vermeidet jeden Pomp und besticht durch ihre Geradlinigkeit. Das Innere, die Empfangsräume und die Hauskapelle, sind elegant und gediegen ausgestaltet. Sie passen in ihrem Stil gut zum preußischen Ambiente, das Berlin in seinen guten Zeiten geprägt hat.
Die demgegenüber viel wuchtigere benachbarte Basilika verleugnet nicht, daß sie ursprünglich die katholische Garnisonskirche des kaiserlichen Berlin war. Davon zeugt noch, daß sie die kirchliche Wirkungsstätte des katholischen Militärbischofs geblieben ist. (Die ehemalige evangelische Garnisonskirche befindet sich nicht weit entfernt in der Mitte des Südkreuzes auf der Verkehrsinsel und wird heute von einer freikirchlichen Gemeinde genutzt) Die Basilika hat daneben noch eine andere Aufgabe bekommen, die für reges Leben sorgt: sie ist Heimstatt für die polnisch-sprachige katholische Gemeinde, die in Berlin eine große Gruppe bildet. Auch insoweit hat also die Nuntiatur die Hand am Puls der Stadt.
Die Aufgeschlossenheit für die aktuellen Probleme Deutschlands kann natürlich nicht den Blick verstellen für die Tiefe und Fülle der Beziehungen, die das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und dem deutschen Raum geprägt haben, praktisch seit der Entstehung Deutschlands, die man mit der Kaiserkrönung Karls des Großen durch den Papst (800) ansetzen kann. Schon der Staatsname „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" ,der sich bald danach einbürgerte, zeigt die besondere Beziehung, die aber auch zu dem jahrhundertelangen Ringen zwischen Kaiser und Papst um die Vorherrschaft der weltlichen oder geistlichen Gewalt führte. Die Reformation leitete ebenfalls eine lange Phase des konfessionellen Ringens ein, wobei der Vatikan auch unterschiedlichen Interessen zwischen der katholischen Zentralgewalt der Habsburger und partikularen Kräften nutzte.Dazu betrieb der Heilige Stuhl eine intensive Diplomatie.Häufig wird Venedig der Ruhm zugesprochen, die Diplomatie der Neuzeit entwickelt zu haben; aber der Vatikan und mit ihm der Kirchenstaat in Mittelitalien haben darin eine mindestens ebenso lange Tradition. Seit 1529 gab es eine ununterbrochene Kette päpstlicher Nuntien am kaiserlichen Hof in Wien. Ebenso existierten aber seit der gleichen Zeit diplomatische Beziehungen zu Partnern unter den deutschen Regionalmächten, insbesondere zu Bayern und zu dem geistlichen Kurfürstentum Köln, das nur bis 1806 bestand. Bei anderen Fürstentümern liefen die Beziehungen über deren Vertreter in Rom, später auch im Falle Preußens.
Zwei Jahrhunderte lang hatten Reformation und Gegenreformation das Verhältnis zwischen Rom und dem deutschen Raum belastet. Der Konfessionsstreit hatte schließlich zur größten Katastrophe unserer Geschichte geführt, dem Dreißigjährigen Krieg. Er endete mit einem Patt. Aber die Entfremdung blieb, und damit fehlten auch die Möglichkeiten für einen Ausgleich. Die Zeit der Aufklärung schuf andere Felder für Konflikte zwischen Kirche und Staat, die sich schließlich im „Kulturkampf" zwischen Rom und Preußen-Deutschland unter der Kanzlerschaft Bismarcks entluden. Bewußt wurden historische Vergleiche über den langen Konflikt zwischen Kaiser und Papst im Mittelalter angestellt. Die Folge war immerhin, daß zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich bis zum Ende des I. Weltkriegs keine diplomatischen Beziehungen aufgenommen wurden. Sie bestanden allerdings mit den Ländern, die ja auch in der alten Reichsverfassung im Wesentlichen die Zuständigkeiten auf kirchlichem und kulturellem Gebiet hatten. So waren Preußen und Bayern durch Gesandte beim Heiligen Stuhl vertreten. Einen Nuntius gab es nur in München. Nach dieser langen und schwierigen Vorgeschichte baute Nuntius Pacelli in der Weimarer Republik ein Netzwerk von Beziehungen auf, das vor allem durch Verträge zwischen Kirche und Staat über ihr Verhältnis zueinander (Konkordate) abgesichert wurde: Bayern (1924); Preußen (1929), Baden (1932) und schließlich das Reichskonkordat (1933). Sie gelten noch weiter, auch wenn viele Materien nach dem II. Weltkrieg in weiteren Konkordaten erst mit den alten Bundesländern, nach der Wende auch mit den neuen zusätzlich oder anders geregelt wurden.
Der Vatikan hat jedenfalls in der Zeit der beiden Weltkriege und danach Deutschland Fairness und Gerechtigkeit zuteil werden lassen. Unmittelbar nach dem II. Weltkrieg verlieh Pius XII. drei deutschen Kirchenfürsten, die sich durch besondere Standfestikeit gegenüber Hitler ausgezeichnet hatten, die Kardinalswürde (1946) - ein mutiger Kontrapunkt gegen die These von der deutschen Kollektivschuld, die von den Kriegsgegnern propagiert wurde. Schon 1946 ernannte er Bischof Muench zum Visitator für die katholische Kirche in Deutschland, l951 zum Nuntius - Jahre bevor Deutschland wieder die diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten aufnehmen konnte.
Jahrzehntelang vermied der Vatikan alles, was als ein Sichabfinden mit der Teilung Deutschlands hätte ausgelegt werden können. Besondere Verdienste kamen dabei auch Johannes Paul II.zu. Sein Beitrag zur Überwindung der Spaltung Deutschlands und Europas fand einen würdigen Ausdruck in seinem gemeinsamen Gang mit Bundeskanzler Kohl durch das Brandenburger Tor bei seinem Apostolischen Besuch in Deutschland 1996.
Daß schließlich - nach fast einem halben Jahrtausend - 2005 mit Benedikt XVI. wieder ein deutscher Papst auf den Stuhl Petri kam, macht deutlich, welche Chancen nach langen Phasen der Entfremdung in diesem Jahrhundert im bilateralen Verhältnis liegen. Seine Reisen zum Weltjugendtag in Köln (2005), in seine bayrische Heimat (2006) und die Apostolische Reise nach Deutschland im September 2011 unterstreichen dieses Potential. Die positiven Anstöße, die solche großen Ereignisse geben, weiterzuverfolgen, ist eine wichtige Aufgabe der Nuntiatur, und es ist ihr zu wünschen, daß diese verantwortungsvolle Arbeit in Deutschland weithin Anklang findet.
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Fotos: Dietrich Lincke