Die vietnamesische Boschaft befindet sich in einer schlichten, etwas abgenutzten Gründerzeitvilla in der Elsenstraße 3 (Abb. 1) gegenüber dem S-Bahnhof Treptower Park. Das Gebäude hat nicht den Charakter einer typischen diplomatischen Vertretung, sondern ist von dem recht starken konsularischen Publikumsverkehr geprägt. Es atmet noch ein wenig die Atmosphäre des alten Ost-Berlin, mit dem Hanoi seit 1950 diplomatische Beziehungen unterhielt, zunächst mit Vietnam, dann nach dessen Teilung mit Nordvietnam, nach der Wiedervereinigung des Landes unter kommunistischem Vorzeichen wieder mit dem ganzen Land. Vietnam war daneben aber auch seit 1977 mit einer Botschaft in Bonn vertreten. Seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin ist der Sitz der Vertretung in Berlin-Treptow.
Die Geschichte der diplomatischen Beziehungen beider Länder spiegelt also wie kaum eine andere den Ost-West-Konflikt wider, der nach dem II. Weltkrieg jahrzehntelang die Weltpolitik beherrschte, wobei aber Vietnam das blutigste Schlachtfeld war. Diese zentrale geopolitische Bedeutung, die das Land hatte, rechtfertigt einen genaueren Blick auf seine Geschichte und seine Gegenwart.
Vietnam hat ca. 90 Millionen Einwohner und gut 330.000 km2 Fläche, also eine ähnliche Größenordnung wie Deutschland. Bei einer Länge von 1750 km verfügt es über eine sehr ausgedehnte Küste (Abb. 2).
Der starke Publikumsverkehr in der Berliner Botschaft ist auf eine große Gemeinde vietnamesischer Einwanderer zurückzuführen, die mit Schwerpunkten in der deutschen Hauptstadt, aber auch in anderen städtischen Zentren der ehemaligen DDR leben. Sie wurden vom SED-Regime als „Gastarbeiter" befristet ins Land geholt; ihre Löhne wurden damals gemäß einer Vereinbarung der Regierungen zu einem erheblichen Teil direkt an das Regime in Hanoi überwiesen. Nach der Wiedervereinigung versuchten allerdings die meisten dieser temporären „Gastarbeiter", endgültig in Deutschland zu bleiben und auch ihre Angehörigen nachzuholen. Diese Übergangsphase verlief keineswegs immer problemlos und im Rahmen der Legalität. Aber durch Genügsamkeit, Fleiß und Lernbegierigkeit gelang es einer großen Zahl dieser Zuwanderer, sich in Deutschland zu halten. Charakteristisch ist, daß sie sich meist bemühen, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu verschaffen und sie zu hoher Leistungsbereitschaft anzuspornen. Deshalb gibt es in aller Regel weniger Integrationsschwierigkeiten als bei anderen Immigrantengruppen. Der frühere Vizekanzler Dr. Rösler ist allerdings kein augenfälliges Beispiel, weil er zwar aus Vietnam stammt, aber schon als Kleinkind durch Adoption in eine deutsche Familie kam.
Der Selbstbehauptungswille wurde dem vietnamesischen Volk bereits in die Wiege gelegt. Im 3. Jahrhundert v. Chr. entstand aus kleineren Fürstentümern ein Königreich im Norden des Landes. Schon 111 v. Chr. unterwarf jedoch China das Gebiet des heutigen Vietnam. Diese Fremdherrschaft dauerte ein Jahrtausend, und der mächtige Nachbar war bestrebt, der dort lebenden Bevölkerung nicht nur politisch, sondern auch kulturell seinen Stempel aufzudrücken. Buddhismus, Taoismus und Konfzuzianismus prägten Philosophie und Ethik, teilweise wurden auch die chinesische Schrift und Sprache rezipiert. In der Verwaltung wurde das Mandarin-System eingeführt, das Vietnam in seinen Vorteilen, aber auch in seinem Niedergang erlebte. Schließlich gelang es Vietnam 939 n. Chr., Schwächeperioden Chinas zu nutzen, um seine Selbständigkeit zu erlangen. Auch von Indien her kamen starke Einflüsse, die Wirkung auf die Ausprägung des Buddhismus entfalteten, aber auch hindustische Religionsformen beisteuerten. Das manifestierte sich in der Architektur, den bildenden Künsten und ebenfalls in Sprache und Literatur. So bezeichnet man heute den südostasiatischen Subkontinent, also auch Vietnam zu Recht als „Indochina".
Jedenfalls ließ sich Vietnam während der tausendjährigen chinesischen Fremdherrschaft seine Identität nicht nehmen. Immer wieder war es in dieser Zeit zu Widerstand und Auflehnungen gekommen. Das hat tiefgreifende Spuren hinterlassen, die auf Seiten Vietnams bis heute das Bedürfnis nach Abgrenzung gegenüber dem großen Nachbarn bestärken, auf Seiten Chinas das ebenso fest verankerte Gefühl, in Indochina ein besonderes Recht auf Mitsprache zu haben. Insofern bestand hier schon früher eine deutliche Ausnahme von der China lange zugeschriebenen Haltung, daß das Reich der Mitte sich selbst genug sei und daß ihm das „barbarische" Ausland gleichgültig bleiben könne. (Inzwischen wurde China ohnehin nicht nur in seiner Region, sondern in der Weltpolitik zu einem maßgeblichen Mitspieler.)
Nach dem Ende der direkten Herrschaft Chinas über sein südliches Nachbarland im Jahre 939 n. Chr. hatten sich in Südostasien unter verschiedenen Dynastien allmählich unabhängige Staaten entwickelt. Dabei bildeten sich mehrere Königreiche heraus: Kambodscha, Thailand, Cham (das später aufgerieben wurde) und verschiedene Staatswesen auf dem Gebiet des heutigen Vietnam, wobei die Einigung des langgestreckten Teritoriums im Wesentlichen von Nord nach Süd vor sich ging.
Dank seiner geographischen Lage entwickelten sich in dem Land verschiedene Häfen und Knotenpunkte des Seehandels mit chinesischen, japanischen, aber auch indischen Niederlassungen. Seit dem 16. Jahrhundert kamen die europäischen Seefahrer und Händler hinzu, zuerst Portugiesen und Holländer. Schon Ende des 17. Jahrhunderts tauchten die Franzosen auf (zunächst durch ihre katholischen Missionare, die zu Hause Interesse an dem Lande erweckten). Ihre Einflußnahme wurde durch die Französische Revolution unterbrochen. Aber von 1863-1945 errichtete Frankreich etappenweise seine Kolonialherrschaft in Vietnam (und auch in den benachbarten Königreichen Kambodscha und Laos, das vorher weitgehend vom unabhängigen Thailand „abgezweigt" wurde).
Zuerst wurde der Süden Vietnams (Cochinchina) mit Saigon französische Kolonie, dann der Norden (Tonkin) mit der traditionellen Hauptstadt Hanoi, während das Kaiserreich Annam in der Mitte zum Protektorat erklärt wurde; die Nguyen-Dynastie, die sich seit 1800 mit französischer Hilfe installiert hatte, blieb nominell am Ruder (ihr letzter Herrscher Bao Dai dankte 1945 ab, versuchte aber noch jahrzehntelang eine politische Rolle zu spielen).
Im II. Weltkrieg brachte Japan auch Vietnam militärisch unter seine Kontrolle, ließ aber die französische Kolonialverwaltung bestehen, da sie zu der Regierung von Vichy hielt, die mit den Achsenmächten zusammenarbeitete. 1945 übernahm dann die neue Regierung unter General de Gaulle die Verwaltung. In der Zwischenzeit hatte sich jedoch in Vietnam der Wille zur Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Bahn gebrochen. Führender Kopf war Ho Chi Minh (1890-1969), der seine Ausbildung in Frankreich erhalten und dort in seiner Jugend lange Jahre verbracht hatte. 1920 gehörte er in Paris zu den Mitbegründern der französischen Kommunistischen Partei. 1930 gründete er von Hongkong aus die Kommunistische Partei Indochinas (später Vietnams). Da die französische Kolonialmacht gegen ihn die Todesstrafe verhängt hatte, hielt er sich bis 1941 vorwiegend im Ausland auf. Dann kehrte er nach Vietnam zurück und rief dort in den Bergen eine Guerilla-Bewegung (Vietminh) ins Leben. Nach dem Umbruch 1945 proklamierte er die unabhängige Republik Vietnam und ließ sich zum Präsidenten des Landes erklären. Mehr noch als Mao, der ja ein jahrtausendealtes Reich erobert hatte, gilt Ho Chi Minh als Gründungsvater Vietnams und ziert noch heute die Banknoten seines Landes (wie Mao). Im Gegensatz zum chinesischen Diktator wurde er nicht größenwahnsinnig und lebte persönlich bescheiden. Er wird noch heute von seinem Volk verehrt.
Für Vietnam begann 1945 eine lange Zeit kriegerischer Entbehrungen, nachdem schon der II. Weltkrieg viele Opfer gefordert hatte. Frankreich versuchte, seine Herrschaft wieder zu errichten und konnte sich vor allem im Süden festsetzen.Das führte zu blutigen Kämpfen, die 1954 mit einer verheerenden Niederlage der Kolonialmacht in der Schlacht von Dien Bien Phu endeten. Die darauffolgenden Friedensverhandlungen in Genf endeten mit einer Teilung Vietnams in den kommunistischen Norden und den pro-westlichen Süden. Es war von Anfang an ein brüchiges Arrangement, das nicht wirklich zu einer Beendigung des Bürgerkriegs führte. Insbesondere im Süden ging er weiter. Die USA unternahmen große Anstrengungen, die pro-westliche Regierung wirtschaftlich und politisch zu stützen, bis sie schließlich 1964 direkt und mit hohem militärischem Engagement eingriffen. Der Vietnamkrieg (1964-1975) entwickelte sich zu einem gewaltigen Ringen, das auf beiden Seiten mit grausamen Mitteln und Erbitterung geführt wurde. Während die kommunistischen Vietcong entsprechend der Guerillataktik auf gnadenlose Kriegführung aus dem Hinterhalt und im Nahkampf setzten, nutzten die USA ihre technische Überlegenheit durch Bombenangriffe, z.B. auf Hanoi, die Zehntausende von Menschenleben kosteten, durch Einsatz von Giftstoffen wie Agent Orange (Dioxin); Riesenwaldflächen wurden entlaubt, um den Guerilla ihre Deckung zu nehmen. Die Zahl der Toten erreichte mehrere Millionen. Die Schätzungen schwanken. Nach vorsichtigen Annahmen kamen zwei Millionen Vietnamesen um, davon über eine Million in Nordvietnam. Die Zahl der Opfer der Bombenangriffe allein betrug etwa 60.000. Andererseits verloren 50.000 amerikanische Soldaten ihr Leben. Der umfangreiche Einsatz von Giftstoffen verursachte ferner immense Folgeschäden, die zu Siechtum und Tod führten. Auch hier gehen die Schätzungen in viele Hunderttausende von Opfern, die aber schwerer zuzuordnen sind (ähnlich wie nach dem Einsatz der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki).
Der heftigste heiße Konflikt des „Kalten Krieges" wurde jedenfalls auf dem Boden Vietnams ausgetragen. Die USA versuchten mit ihren Verbündeten, die Ausbreitung des Kommunismus in Asien aufzuhalten. Der Osten gab - neben der Grundkonzeption der „Weltrevolution"- vor, den Kampf gegen Kolonialismus und „Neokolonialismus", aber auch um die nationale Unabhängigkeit Vietnams zu führen. Dabei zeigte sich schon während des Krieges immer deutlicher, wie sich eine tiefgreifende Entzweiung zwischen den beiden kommunistischen Großmächten Rußland und China auftat. Die Vietnamesen glaubten damals wie heute, daß sie von China nur lau oder gar nicht unterstützt wurden. Sie verließen sich deshalb ganz auf die Sowjetunion und ihre europäischen Satelliten.
1975 gaben die USA den Kampf auf, und die verbliebenen südvietnamesischen Kräfte brachen völlig in sich zusammen. Die Wiedervereinigung wurde durch die nordvietnamesischen Kommunisten vollzogen. Der Freude weiter Teile der Bevölkerung über das Ende der Kämpfe folgte bald die Ernüchterung. Die kommunistische Regierung errichtete eine Schreckensherrschaft mit „Umerziehungslagern" für die Anhänger und Helfer des „alten Regimes", mit rücksichtslosen Enteignungen und Verstaatlichungen in Landwirtschaft, Handel und Industrie. Die Folgen waren ein weiterer Einbruch der Wirtschaft, noch über die Kriegsfolgen hinaus, Hunger und katastrophale Versorgungsengpässe. Auch Beutegier und Korruption breiteten sich unter den „Siegern" aus. Besonders hart betroffen waren die seit Generationen in Vietnam ansässigen Auslandschinesen (damals etwa 1,5 Millionen, genannt Hoa); gerade sie hatten es oft als Händler und Gewerbetreibende zu Wohlstand gebracht und waren eine Stütze des südvietnamesischen Regimes gewesen. Die Verfolgungen lösten eine massive Fluchtbewegung von 2 Millionen Menschen aus (1975-1990), die zumeist in Booten zu entkommen versuchten („boat people").
Hinzu kam noch, daß Vietnam 1979 im benachbarten Kambodscha eingriff, angestachelt durch Grenzzwischenfälle und anti-vietnamesische Progrome. Dort entwand es dem mörderischen Pol Pot-Regime die Kontrolle, das schon 1,5 Millionen seiner Untertanen - ein Fünftel der Bevölkerung - in Vernichtungslagern durch Hunger und Krankheit oder einfach durch Erschlagen umgebracht hatte. Man spricht hier von einem Völkermord am eigenen Volk. Erst 1990 zog sich Vietnam aus Kambodscha zurück. Wenn es auch nicht allein aus humanitären Gründen eingegriffen hatte, so hat es doch das Nachbarland von einer unglaublichen Plage erlöst.
Große Anerkennung fand es dafür nicht, sicher auch deshalb, weil es um seine eigene Menschenrechtslage schlecht bestellt war. China war empört, da es Kambodscha als zu seiner eigenen „Einflußspäre" gehörig betrachtete und Vietnam sich trotzdem angemaßt hatte, dort als Ordnungsmacht aufzutreten. Deshalb unternahm China noch 1979 eine militärische „Strafaktion" an der vietnamesischen Nordgrenze, machte dabei aber gegenüber dem kampferprobten kleineren Nachbarn keine gute Figur, so daß die Kampfhandlungen wieder zum Erliegen kamen. Politisch war die Konsequenz, daß Vietnam einen noch engeren Schulterschluß mit Rußland suchte.
Die Vorbehalte zwischen Vietnam und China wurden damit weiter vertieft. Die Streitigkeiten an der Landgrenze sind inzwischen zwar entschärft. Aber es gibt noch immer schwelende und gelegentlich ausbrechende Konflikte wegen einiger Inselgruppen im Südchinesischen Meer, die von beiden Seiten (teilweise auch noch von Dritten) beansprucht werden, neuestens 2012 und 2014.
Seine inneren Probleme hat Vietnam in den letzten Jahrzehnten besser in den Griff bekommen. 1986 wurden die führenden Parteikader der alten Garde abgelöst. (Ho Chi Minh war schon 1969 gestorben). Die Korruption in der Partei wurde durch massenhafte Entlassungen eingedämmt. 1990 setzte eine wachsende Öffnung für den Welthandel und eine Zulassung marktwirtschaftlicher Bedingungen ein. Das ermöglichte beachtliche Wachstumsraten, die laut Internationalem Währungsfonds von 2003-2007 jeweils über 7%, seit 2008 immer noch über 5%, teilweise sogar 6% lagen.
Diese Leistung ist gewiß ermutigend und fand auch in der deutschen Wirtschaft und Öffentlichkeit entsprechende Beachtung. Die Reise der Bundeskanzlerin nach Hanoi im Oktober 2011 lenkte zusätzliche Aufmerksamkeit auf das Land. Die aktive deutsche Werbung wird deutlich durch Plakate vor unserer kleinen, aber schmucken Botschaft in Hanoi (Abb. 3 u. 4) sowie durch große Schaubilder (Abb. 5) auf einem zentral gelegenen Grundstück in Ho Chi Minh Stadt (Saigon), wo ein „Deutsches Haus" entstehen soll mit Niederlassungen namhafter deutscher Firmen. Im November 2014 fand erstmals in Vietnam, auch in seiner Wirtschaftsmetropole Ho Chi Minh Stadt, die Tagung des Asien Pazifik Ausschusses der Deutschen Wirtschaft statt, und zwar unter hoher und breitgefächerter Beteiligung, mit Vizekanzler und Wirtschaftsminister Gabriel als Co-Chairman. Diese Konferenz wird seit 1986 alle zwei Jahre in wichtigen Wirtschaftszentren der Region abgehalten. Man wollte dies als ein Zeichen dafür gewertet wissen, daß Deutschland den Eindruck hat, Vietnam setze zu einer Aufholjagd nach dem Vorbild anderer erfolgreicher Partnerländer in Südostasien ein. Als Beispiel wird das Aufnahmepotential für Kraftfahrzeuge genannt. In der Tat fällt auf, daß das Straßenbild im Lande, besonders in Saigon und Hanoi, durch Myriaden von Motorrädern und -rollern beherrscht wird, leider auch mit einer immensen Unfallstatistik. Aber die Infrastruktur reicht noch lange nicht aus, um sich vorzustellen, daß diese einfachen Fortbewegungsmittel durch eine große Zahl von Pkws ergänzt oder gar ersetzt werden.
Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß der deutsch-vietnamesische Handel zwischen 2012 und 2013 um 18% stieg, und zwar auf 7,7 Mrd. US-$. Deutschland wurde damit der stärkste Außenhandelspartner Vietnams in Europa. Aber bei unseren Investitionen in dem Land liegen wir mit 1 Mrd. US-$ nur an 22. Stelle, weit hinter den Spitzenreitern Japan und Südkorea. Unsere Haupt-Exportbereiche sind Maschinenbau, Transportausrüstungen, pharmazeutische und chemische Produkte und Kraftfahrzeuge. Wir importieren insbesondere Telephone, Textilien und Schuhe, Fischereiprodukte.
Gegenwärtig wird noch 1/5 des vietnamesischen Bruttosozialprodukts durch die Landwirtschaft (zeitweilig zweitgrößter Reisexporteur nach Indien) und die Fischerei erwirtschaftet, 2/5 durch Industrie und Handwerk, 2/5 durch Dienstleistungen. Gerade im letzten Bereich liegt Wachstumspotential, besonders durch den Tourismus (Abb. 6).
Dazu tragen die landschaftlichen Reize, vor allem die unzähligen, teilweise kaum genutzten Strände (Abb. 7) und die natürliche Begabung der Menschen für den Service bei. Das bereits vorhandene Angebot an Hotels - auch gepflegten und sogar luxuriösen - ist beachtlich. Gelegentlich gibt es aber auch Engpässe und Überhitzungserscheinungen, also Bedarf für eine weitere Expansion.
Insgesamt besteht jedoch hinsichtlich der wirtschaftlichen Chancen Vietnams kein Anlaß zum Überschwang. Laut der Staatsverfassung von 1980 ist die Kommunistische Partei „die einzige Kraft, die Staat und Gesellschaft führt". Das gilt in erster Linie für die politischen Strukturen in dem straff gelenkten Land. Diejenigen, die wegen der zögerlich weichenden Militärherrschaft in Myanmar und der erfahrungsgemäß zeitlich begrenzten Militärregierung in Thailand (nach aus dem Ruder gelaufenen Demonstrationen und Straßenschlachten) den Zeigefinger erheben, müssen sich fragen lassen, ob ein totalitärer Einparteienstaat wirklich der einfachere Partner ist. So werden von deutschen Geschäftsleuten als Hindernisse bei Investitionen genannt: komplizierte amtliche Regelungen, Bürokratie, Mangel an gut ausgebildetem Fachpersonal, Importschranken, Korruption, Inflation und hohe Steuerlast. Sicherlich bleibt noch einiges zu tun, damit der neue „Tiger" springen kann.
Das größte Potential des Landes sind der Fleiß, die Genügsamkeit und die weitverbreitete Zuvorkommenheit seiner Menschen. Der nüchterne Zuschnitt seiner Botschaft in Berlin ist daher ein sinnvoller Ausdruck der Bescheidenheit und Leistungsbereitschaft.
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Fotos: Dietrich Lincke