I
Die nordischen Botschaften in Berlin sind ein Publikumsmagnet. Der eindrucksvolle Baukomplex entspringt einer Initiative der fünf beteiligten skandinavischen Länder, die nicht nur in der deutschen Hauptstadt, sondern auch weltweit einmalig ist. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands beschlossen sie 1995, einen neuen Ansatz zu wagen und bei der Errichtung ihrer diplomatischen Vertretungen die Kräfte zu bündeln, nach dem Motto “Jeder für sich und doch gemeinsam“, wie Königin Margarethe II. von Dänemark es bei der Einweihung 1999 formulierte. Das Areal umfasst das Gelände der im II. Weltkrieg beschädigten und später abgerissenen Gesandtschaften von Schweden und Finnland sowie ein hinzugekauftes Nachbargrundstück. Es liegt im Kern des traditionellen Diplomatenviertels am Tiergarten an einer breiten Allee, die direkt zum großen Stern (Siegessäule) führt. Sie hieß früher Siegesallee, wurde aber nach dem verlorenen Krieg prosaischer in Klingelhöfer Straße umgetauft (nach einem früheren Wirtschaftssenator). Zu den „Nordischen Botschaften“ fährt man an die gleichnamige Haltestelle mit den doppelstöckigen Buslinien 100 und 200 der Berliner Verkehrsbetriebe oder den gängigen Stadtrundfahrten. Auch wenn das Ziel nicht angesagt würde, könnte man es sofort erkennen. Die nordischen Botschaften sind fast durchgehend von einem haushohen „Grünen Band“ (Bild 1) umgeben, das aus tausenden, mit Patina überzogenen Kupferlamellen besteht; teilweise sind sie halb geöffnet und geben den Blick ins Innere frei. Zu dem Komplex gehören das Gemeinschaftshaus („Felleshus“,Bild 2) und die 5 Botschaftsgebäude (Bilder 3-7) der beteiligten Länder: Schweden (knapp 10 Mio Einwohner), Dänemark, Norwegen und Finnland (je 5 bzw. 5,5 Mio) und Island (gut 300.000), also zusammen ca. 26 Mio.
Das Gesamtkonzept, das imposante „Grüne Band“ und das „Felleshus“ sind nach dem Entwurf eines österreichisch-finnischen Architektenbüros, Berger und Parkinnen, gestaltet. Es gewann in einer internationalen Ausschreibung unter mehr als 200 Wettbewerbern den ersten Preis. Die fünf individuellen Botschaftsgebäude wurden demgegenüber in der Mehrzahl von Architekten der Entsendestaaten entworfen und spiegeln ganz bewusst die nationale Identität wider - in Stil, Baumaterialien und Inneneinrichtung: von der Sauna in der finnischen Botschaft bis zu dem großen Granitblock aus einem norwegischen Fjord und dem Vulkangestein, das in der isländischen Botschaft verbaut wurde. Für alle typisch ist die ausgiebige Verwendung heimischer Hölzer, viel Glas und viel Licht. Die hohen Erwartungen an die Klarheit und Eleganz der nordischen Architektur werden erfüllt.
So beherbergt der Komplex der
nordischen Botschaften anspruchsvolle Musterobjekte. Nicht alle dieser
Baulichkeiten kann man von außen hinter dem „Grünen Band“ erkennen, und
regelmäßige Führungen wie in der Niederländischen Botschaft gibt es nicht - nur einmal im Jahr einen „Tag der offenen
Tür“. Das Grüne Band verbirgt aber nicht die Außenfront der Dänischen Botschaft
und das gemeinsame Felleshus. Darüber hinaus kann man einen „virtuellen Rundgang“
im Internet machen, der auch verborgene Winkel zeigt.
Das Dilemma Offenheit und Außenwerbung oder effektive Sicherheitsmaßnahmen gilt heute für alle Auslandsmissionen der Welt, auch für die deutschen. Den Nordischen Botschaften in Berlin ist die Quadratur des Kreises jedenfalls besser gelungen als den meisten anderen Vertretungen. Der Schlüssel der Lösung war das frei zugängliche Gemeinschaftshaus. Es bietet Raum für Ausstellungen, Vorträge, Aufführungen und Konzerte. Dafür hat es ein eindrucksvolles Auditorium, das mehr als 100 Personen fasst. Ein besonderer Anziehungspunkt ist die stark frequentierte Botschaftskantine, in der man typische skandinavische Gerichte und Getränke bekommt. Darüber hinaus gibt es Spezialitätenwochen der beteiligten Länder. Alles ist von hoher Qualität, vorbildlich die Fischgerichte und die Preise. Die Speisen kosten nur einen Bruchteil dessen, was man irgendwo in Skandinavien in einem Wirtshaus oder einer Imbissstube bezahlen müsste. Kein Wunder, dass der Zulauf beträchtlich ist! Viele Gäste sind pfiffige Berliner, die das längst herausgefunden haben, aber auch Touristen aus aller Herren Länder. Darunter sehr viel Jugend.
Das Felleshus beherbergt ferner die Konsularabteilungen der fünf Botschaften, mit einem besonderen Eingang von der Straße.
Insgesamt kann man sagen, dass Konzept und Ausgestaltung der nordischen Botschaften ein großer Wurf sind, der vom traditionellen Bild ausländischer Missionen abweicht. Das mag dadurch erleichtert worden sein, dass die skandinavischen Länder in Berlin nicht sehr lange durch klassische Kanzleigebäude repräsentiert waren. Zwar geht das diplomatische Verhältnis Dänemarks und Schwedens zu Preußen/Deutschland bis ins 17. Jahrhundert zurück. Auch diese beiden Staaten haben aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts Amtssitze in Berlin erworben. Norwegen und Finnland erlangten erst 1905 bzw. 1917 ihre volle Selbständigkeit und richteten danach Auslandsvertretungen in der deutschen Hauptstadt ein. Island wurde überhaupt erst 1944 unabhängig und nahm 1952 diplomatische Beziehungen mit Bonn auf.
Die Gesandtschaftsgebäude der nordischen Länder in Berlin wurden im II. Weltkrieg schwer beschädigt und danach schließlich abgerissen. Die einzige Ausnahme bildete Dänemark. Nachdem seine ursprüngliche Gesandtschaft den Plänen des Hitler-Architekten Albert Speer für die Neugestaltung Berlins weichen musste, erhielt es als Ausgleich ein Filet-Grundstück zwischen dem Tiergarten und einem Aussengehege des Berliner Zoos, direkt neben der Spanischen Botschaft und ebenso schön gelegen wie diese (die heutige Adresse lautet Thomas-Dehler-Str. 48). Es wurde 1938 -1940 mit einem eleganten Gebäude versehen, jedoch bald nach Fertigstellung durch Fliegerangriffe beschädigt. Nach dem Kriege wurde das Grundstück verkauft, aber dann mit dem Glanz der vormaligen Residenz wiederhergestellt. Seit einigen Jahren beherbergt es das Luxushotel „Stue“. Wer Wert darauf legt, bei einem Berlinbesuch in einer diplomatischen Residenz abzusteigen, findet dort die entsprechende Atmosphäre – natürlich auch zu entsprechenden Preisen.
II
Die zahlreichen Wechselwirkungen und Verflechtungen zwischen Nord- und Mitteleuropa sind aber keine bloße Geschichte der bilateralen Beziehungen, sondern sie beruhen auf einem tiefen Fundus an Gemeinsamkeiten, die sich auch aus den germanischen Ursprüngen ergeben. Wenn wir Näheres über die Gedanken– und Götterwelt unserer Vorfahren wissen wollen, so müssen wie uns auf die Schilderungen der Römer (Tacitus) sowie auf die Edda und die Sagas stützen, die in Island auf der Grundlage mündlicher Überlieferung im 13/14. Jahrhundert niedergeschrieben wurden.
Zu Beginn unserer Zeitrechnung herrschte viel Bewegung in Nord- und Mitteleuropa: die germanischen Stämme wechselten oft ihre Siedlungsräume, schon vor der Völkerwanderung. Die heute bestehenden Nationen formierten sich um die erste Jahrtausendwende. Das Heilige Römische Reich wurde 1062 gegründet (später erhielt es den Zusatz „deutscher Nation“), und um das Jahr 1000 begann auch in Skandinavien die Staatenbildung: König Knut der Große schuf ein mächtiges dänisches Reich, dessen Herrschaft er zeitweilig bis nach England ausdehnte.
Dem war seit 800 die Zeit der Wikinger (in Osteuropa Waräger genannt) vorangegangen. Ihre Basis war Skandinavien. Von dort aus unternahmen sie weit ausgreifende Beutezüge, nach denen sie anfangs wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Voraussetzung war der von ihnen entwickelte Schiffstyp: langgestreckt, von geringem Tiefgang und schnittig, auch geeignet, Flüsse zu befahren oder über Landengen gezogen zu werden. Diese Schiffe waren schneller als alle anderen damals gebräuchlichen Modelle. So kamen die Wikinger überfallartig, machten Beute und verschwanden. Sie plünderten z.B. Hamburg und Paris und versuchten sogar mehrfach – allerdings vergeblich -, Konstantinopel einzunehmen. Schließlich begannen sie damit, sich fern der Heimat dauerhaft festzusetzen und Herrschaften oder Reiche zu gründen. Um Paris vor weiteren Plünderungen zu bewahren, siedelte der französische König Karl der Einfältige, Normannen (Wikinger) im Norden Frankreichs an. Von der “Normandie“ aus eroberten sie 1066 England, verunsicherten aber auch den Mittelmeerraum und bildeten z.B. Reiche in Süditalien. Im 11. und 12. Jahrhundert entstand daraus auf Sizilien und dem benachbarten Festland ein für damalige Verhältnisse mustergültiger Staat. Kaiser Friedrich II. (1012-1250) erbte dieses Reich und nutzte es als seine eigentliche Machtbasis, ein früher Höhepunkt der „deutsch-normannischen“ Beziehungen.
Die Ausbreitung der Wikinger beschränkte sich aber nicht auf den klassischen Raum Europas. Sie eroberten darüber hinaus die nordatlantischen Inselgruppen, schließlich Island (ab 874) und Grönland (ab 983). Um das Jahr 1000 gelangten sie vorübergehend nach „Vinland“ in Amerika, wahrscheinlich die Gegend des heutigen Boston.
Seit etwa 1000 konsolidierte sich Dänemark und setzte sich als skandinavische Vormacht durch, politisch wie wirtschaftlich und kulturell. 1375 bis 1523 waren Dänemark, Norwegen und Schweden in einer Hand vereint; 1397 wurde diese Verbindung als „Kalmarische Union“ vertraglich verankert. Allerdings wurde die Ostsee damit noch kein dänisches Meer. Als Gegengewicht und zugleich Partner entwickelte sich die deutsche Hanse, entstanden aus Zusammenschlüssen von Kaufleuten (seit dem 12. Jahrhundert), aus denen ein Städteverbund unter Führung von Lübeck hervorging (Ende des 13. Jh.) Sie bestimmte den Handel in der Ostsee und errichtete darüber hinaus z.B. große Niederlassungen in Bergen/Norwegen und London. Sie konnte sich auch politisch und militärisch gegenüber den Staaten der Region behaupten. Ihre Blütezeit erreichte sie im 15. Jh. Mit 160 Mitgliedstädten, verlor aber im 16. Jh. Ihre Vorrechte, auch in Skandinavien, als Holländer und Engländer ebenfalls in den Ostseehandel hineindrängten.
Parallel zu diesen Verschiebungen entzog sich Schweden immer mehr der dänischen Bevormundung (1433 bis 1523) und löste dann Dänemark als Vormacht im Ostseeraum ab.
Schon seit dem 11. Jh. hatte Schweden zudem begonnen, sich über die Ostsee nach Osten auszudehnen. Bis ins 13. Jh. erweiterte es sein Herrschaftsgebiet auf Finnland, geriet dabei aber immer mehr in Wettstreit mit dem russischen Nowgorod, das ins benachbarte Karelien vordrang. 1323 verständigten sich beide Länder über die territoriale Abgrenzung, aber der Konflikt flackerte immer wieder auf. 1617 musste Russland ein wichtiges Grenzgebiet an Schweden abtreten. Anschließend führte Schweden auch noch Krieg gegen Polen und nahm ihm Livland im Baltikum ab. Nach diesen erfolgreichen Eroberungsfeldzügen griff König Gustav Adolf II. 1630 auf protestantischer Seite in den Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) ein und wurde zum Hauptgegenspieler von Wallenstein auf katholischer Seite. Der schwedische König selbst fiel 1632 in der Schlacht von Lützen (südwestlich von Leipzig). Nach langen weiteren Schreckensjahren kam 1648 der Westfälische Frieden zustande. Schweden erhielt Vorpommern mit Stettin, also die Kontrolle über die Odermündung, sowie das Herzogtum Bremen-Verden (aber nicht die Stadt Bremen) zwischen den Mündungen von Elbe und Weser (bis 1718).
Eine Landschaft, die durch den Dreißigjährigen Krieg besonders verwüstet worden ist, war die Mark Brandenburg. Aber auch in den folgenden Jahrzehnten setzte sich der Konflikt Brandenburgs mit Schweden in verschiedenen Konstellationen fort. Der Große Kurfürst konnte diesen starken Gegner zwar in der Schlacht von Fehrbellin zurückschlagen (1675). Das mehrte sein Ansehen als Feldherr. Aber Vorpommern blieb in schwedischer Hand. Erst 1720 fielen Stettin und Usedom an Preußen, Stralsund und Rügen sogar erst 1815.
Im 18. Jh. behauptete Schweden im Wesentlichen seine Stellung im Ostseeraum, angesichts seiner geringen Bevölkerungsdichte eine große Kraftanstrengung. Aber mit Russland erwuchs ihm ein neuer Gegner. Zar Peter der Große wollte sich einen Zugang zur Ostsee erzwingen; der Bau seiner neuen Hauptstadt Sankt Petersburg (Beginn 1703) sollte das „Fenster nach Europa“ öffnen. Dabei stand ihm Schweden im Wege, gegen das er eine Koalition schmiedete mit Dänemark und Sachsen/Polen. König Karl XII. von Schweden gelang es zunächst, seine Gegner der Reihe nach zu schlagen, aber er überdehnte seine Kräfte. Die Weite Russlands wurde ihm – wie später Napoleon und Hitler – zum Verhängnis: bei Poltawa hinter Kiew musste er sich der nachgerüsteten russischen Armee stellen und wurde vernichtend geschlagen. Er floh in die Türkei und kehrte in Rekordzeit nach Schweden zurück. In den weiteren Kämpfen fiel er 1718. Im Friedensschluss verlor Schweden die Besitzungen in Deutschland (bis auf Teile Vorpommerns, s.o.); die baltischen Provinzen fielen an Russland. Der Gegensatz zwischen Schweden und Russland setzte sich durch das 18. Jh. fort. Einen weiteren Gegner erhielt Schweden durch die ablehnende Haltung seines Königs gegenüber Napoleon. So nutzte Zar Alexander I. 1807 (nach dem Sieg Frankreichs über Preußen) die Gelegenheit, sich Finnland (als russisches Großfürstentum) anzugliedern. In Schweden selbst richtete sich die Stimmung gegen den König. Nach seinem Tode wählte der Reichstag den französischen Revolutionsmarschall Bernadotte, einen Günstling Napoleons, zum Nachfolger. Seine Nachkommen sind die einzige, heute regierende Dynastie in Europa, die auf die Ära Napoleons zurückgeht. Alle anderen Bundesgenossen, die zu eng und zu lange mit dem französischen Kaiser zusammengearbeitet hatten, mussten dafür auf dem Wiener Kongress (1814/15) einen hohen Preis bezahlen. Das galt z.B. für Dänemark, obwohl es für seine Haltung gute Gründe gehabt hatte: Lange hatte es im Konflikt Englands mit Napoleon die Neutralität gewahrt. Das wurde ihm aber von den Briten schlecht entgolten. Sie nahmen 1807 das friedliche Kopenhagen unter Beschuss und zerstörten oder entführten die dänische Flotte. Darauf wurde das Land zum überzeugten Verbündeten Napoleons. Dafür musste es auf dem Wiener Kongress auf die seit 1387 bestehende Union mit Norwegen verzichten und das Land an Schweden abtreten. So erfüllten sich auch die Hoffnungen der Norweger nicht, bei der Gelegenheit wieder unabhängig zu werden. Die neue Union wurde vom frischbackenen schwedischen Regenten Bernadotte durchgesetzt und erst 1905 durch eine Volksabstimmung beendet.
Dänemark versuchte nun, den Verlust Norwegens durch eine Festigung seiner Position in Schleswig/Holstein auszugleichen. Diese hat eine lange Vorgeschichte: 1460 hatten die Stände der beiden Länder Christian I., den Gründer der noch heute in Dänemark regierenden Dynastie, zum Herzog in Schleswig und Holstein gewählt. Dabei musste er die Unteilbarkeit der beiden Länder feierlich bestätigen („ewich ungedelt“). Das war die Ausgangslage für den Konflikt Dänemarks mit dem Deutschen Bund im 19. Jh. : 1848 erklärte Dänemark die Eingliederung Schleswigs, 1863 sogar den Anschluss beider Herzogtümer, auch Holsteins. Dieses gehörte dem Deutschen Bund an. Deshalb stellten Preußen und Österreich, die beiden Vormächte, Dänemark ein Ultimatum zur Rücknahme der Annexion und marschierten nach dem ergebnislosen Ablauf 1864 in das Nachbarland ein. Im Friedensschluss trat der dänische König Schleswig-Holstein an die beiden Großmächte ab, die jedoch schon 1866 ihrerseits gegeneinander Krieg führten. Im Frieden von Nikolsburg übertrug Österreich seine Rechte an Preußen.
Die Frage wurde im Versailler Vertrag 1919 erneut aufgegriffen. Er setzte eine Volksabstimmung im deutsch-dänischen Grenzgebiet fest, als deren Ergebnis der nördliche Teil dänisch wurde. Daran wurde nichts mehr geändert, auch nicht im „Dritten Reich“.
Im I. Weltkrieg blieben die nordischen Staaten neutral (außer Finnland, das noch zu Russland gehörte). Im II. Weltkrieg war die Lage der skandinavischen Staaten differenzierter: Dänemark blieb neutral, wurde aber trotzdem 1940-1945 von Deutschland besetzt. Bis 1943 hatte es eine eigene Regierung, die nicht ins Exil ging. Auch der König blieb im Land. Ab 1943 betrieb es eine Politik der „Nicht-Zusammenarbeit“ mit der Besatzung. Nach dem Krieg begann relativ bald eine Phase der Normalisierung der Beziehungen. Die Grenze blieb unverändert. Im Gefolge des NATO-Beitritts der Bundesrepublik Deutschland wurden Verhandlungen über die Rechte der Minderheiten aufgenommen (parlamentarische Vertretung, Schulförderungen usw.). In den Köln-Kopenhagener Erklärungen von 1955 sind die Rechte für beide Seiten praktisch spiegelbildlich geregelt. Die Lösungen gelten in Europa, ja, in der Welt, als vorbildliches Modell. Allerdings ist die Zahl der Betroffenen, die sich zu den Minderheiten bekennen, begrenzt. Sie beträgt in Dänemark 20.000, in Schleswig-Holstein etwa 50.000.
Schweden blieb auch im II. Weltkrieg neutral und konnte seine Position im Wesentlichen gegenüber beiden Seiten behaupten.
Norwegen wurde ebenso wie Dänemark von Hitler ohne Vorwarnung angegriffen. König Hakon und die Regierung flohen vor den einrückenden Truppen und gingen nach London ins Exil.
Für Finnland war die Sache verwickelt. 1940 wurde es von Stalin angegriffen und wehrte sich. Nach einem Waffenstillstand nahm es 1941 die Kampfhandlungen wieder auf, nachdem Hitler der Sowjetunion den Krieg erklärt hatte. Es kämpfte dann parallel zu Deutschland, aber nur gegen die Sowjetunion, nicht gegen die Alliierten insgesamt. 1944 kapitulierte es vor der Sowjetunion und erklärte zunächst seine Neutralität, begann aber schon im September, die Wehrmacht – gemeinsam mit den russischen Truppen - aus seinem Staatsgebiet zu drängen. Im März 1945 erklärte es schließlich Deutschland noch den Krieg, sogar rückwirkend ab September 1944.
Island war zwar bis 1945 durch Personalunion mit dem Königreich Dänemark verbunden, wurde aber von England 1940 – unter der Verletzung der Neutralität – besetzt. Die USA übernahmen die Besetzung Anfang 1941 (ein halbes Jahr vor ihrem Kriegseintritt), „um die Briten zu entlasten“. 1944 wurde dann die Republik Island ausgerufen und damit die Unabhängigkeit von Dänemark eingeleitet.
III
So mussten die nordischen Staaten im II. Weltkrieg ganz unterschiedliche Wege einschlagen. 1951-55 schlossen sie sich aber im Nordischen Rat zusammen zur Kooperation auf wirtschaftlichem, kulturellem und sozialpolitischem Gebiet. Daraus entwickelte sich u.a. die nordische Pass- und Zollunion. Doch in der Außen- und Sicherheitspolitik blieben die Positionen eigenständig. 1949 waren Dänemark, Island und Norwegen unter den 12 Gründungsmitgliedern der NATO (deren Zahl inzwischen auf 28 angestiegen ist). Schweden und Finnland gehören dem Bündnis bis heute nicht an.
Die Mehrzahl der nordischen Staaten ist in der EU – außer Norwegen und Island. Den Euro hat aber nur Finnland eingeführt; alle anderen haben ihre nationalen Währungen beibehalten.
IV
Diese Unterschiede stören den Zusammenhalt unter den nordischen Staaten nur wenig. Die solide Grundlage sind die historischen Gemeinsamkeiten, die in den jahrhundertelangen staatlichen Verflechtungen gewachsen sind. Ihre Sprachen sind aus dem „Altnordischen“ entstanden; die Trennung in Dänisch, Schwedisch, Norwegisch und Isländisch war erst im 16. Jh. abgeschlossen. Aber die langewährende Union zwischen Dänemark und Norwegen (1387 bis 1814) hat dazu geführt, dass die damalige (dänische) Reichssprache (Bokmal) noch immer starken Rückhalt in Norwegen hat. Daneben wurde in Norwegen seit dem 19. Jh. aus verschiedenen Dialekten die Landessprache (Landsmal) entwickelt. Schwedisch wird nicht nur im heutigen Schweden gesprochen, sondern ist auch in Finnland seit dem Mittelalter vorgedrungen. Es wurde unter schwedischer und später auch russischer Herrschaft Amtssprache. Nach der Unabhängigkeit behielt es eine starke Position. Muttersprache ist es allerdings nur für die Minderheit von 5% Schweden. Finnisch selbst wurde erst im 19. Jh. zu einer Kultursprache ausgebaut. Es hat keine indogermanischen Ursprünge und ist deshalb in Europa zusammen mit dem Ungarischen die Ausnahme (finnisch-ugrische Sprachfamilie).
Außerdem sind in Finnland, Schweden und Norwegen die Sprachen der ethnischen Minderheiten anerkannt, insbesondere die der Samen (Lappen), die hauptsächlich im hohen Norden zu Hause sind. Ihre Sprachen haben allerdings eine geringe Verbreitung.
V
Bei aller Vielfalt wird Skandinavien in Europa als ein eigener Kulturraum mit starken Wechselwirkungen in das deutschsprachige Mitteleuropa und den angelsächsischen Bereich gesehen. Wie das Mittelmeer, so war auch die Ostsee lange kein Hindernis, sondern ein Bindeglied zwischen den Anrainern. Das Binnenmeer ermöglichte am leichtesten Verkehr, Handel und Kulturaustausch. Dänemark und Schweden, ebenso die Hansestädte und der Deutsche Orden (in Preußen und im Baltikum) machten sich das zunutze. Auch die Reformation Martin Luthers breitete sich schnell nach Skandinavien aus und erhielt später von dort aus im Dreißigjährigen Krieg Nachschub und Unterstützung, die allerdings für Deutschland tragische Formen annahmen.
Diese große Katastrophe verhinderte aber nicht, dass in den folgenden Jahrhunderten die wirtschaftlichen und geistigen Bande zwischen Skandinavien und Deutschland eng blieben und dass die nordischen Einflüsse gerade in Mitteleuropa einen guten Resonanzboden fanden – und umgekehrt, bis ins 19. und 20. Jh. Nur als Beispiele seien genannt: der weltberühmte dänische Märchenerzähler und Dichter Christian Andersen (1805 bis 1875), der dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard (1813-1855), der norwegische Dramatiker Henrik Ibsen (1828-1906), der norwegische Maler und Wegbereiter des Expressionismus Edvard Munch (1863-1907), sein Landsmann, der Komponist Edvard Grieg (1843-1907), der finnische Komponist Jean Sibelius (1865- 1957). Die 15 skandinavischen Schriftsteller, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, sind auch dem deutschen Publikum ein Begriff, wie der Norweger Knut Hamsun (1859-1952), die Schwedin Selma Lagerlöf (1858-1940).
Der von dem schwedischen Chemiker und Industriellen Alfred Nobel (1832-1896) gestiftete Preis hat sich zum Symbol der schwedischen und darüber hinaus der skandinavischen Weltgeltung auf wissenschaftlichem, literarischem und humanitärem Gebiet entwickelt. Diese prestigereiche und hochdotierte Auszeichnung wird seit 1901 für 5 Bereiche verliehen: durch die Schwedische Akademie der Wissenschaften (Physik und Chemie), durch das medico-chirurgische Karolinska Institutet (Medizin), durch die Schwedische Akademie der Schönen Künste (Literatur), sämtlich mit Sitz in Stockholm, und durch einen Ausschuss des Norwegischen Parlaments in Oslo (Friedensnobelpreis). Diese Auszeichnung erhielt nach einigen anderen deutschen Persönlichkeiten, insbesondere dem langjährigen Außenminister Gustav Stresemann (1926) auch Bundeskanzler Willy Brandt (1971), der in der NS-Zeit nach Norwegen emigriert war. 1969 stiftete die schwedische Reichsbank in Ergänzung zu den bisherigen Nobelpreisen eine weitere Kategorie für Wirtschaftswissenschaften, die wiederum durch die Schwedische Akademie der Wissenschaften verliehen wird.
Der Nobelpreis ist zwar ein wichtiger Indikator, aber das Ansehen und der Einfluss der skandinavischen Kultur haben in Deutschland auch von sich aus eine erhebliche Breitenwirkung, etwa in Film und Fernsehen. Dafür stehen z.B.: der Regisseur Ingmar Bergman (1918-2007), der Schriftsteller Henning Mankell (1948-2015), dessen Bücher vielfach verfilmt wurden. Vor allem wächst bei uns kaum ein Kind auf ohne Andersens Märchen oder – in neuerer Zeit – Pippi Langstrumpf und Kalle Blomquist, Schöpfungen der schwedischen Autorin Astrid Lindgren (1907 bis 2002). Sie erhielt zwar nicht den Nobelpreis, wohl aber den „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ (1978) und den „alternativen Nobelpreis“ (1994).
Auf der anderen Seite nahm Deutsch bis zur Mitte des 20. Jh. auch die erste Stelle unter den Fremdsprachen in Skandinavien ein. Diese Position verlor es nach dem II. Weltkrieg an das Englische, besonders in Norwegen und Dänemark, weil die Eindrücke der Besatzungszeit fortwirkten, aber auch, weil Englisch sich immer mehr als die internationale Sprache durchsetzt. Immerhin hält das Deutsche in Skandinavien noch den 2. Platz, und unsere Kulturpolitik ringt um diesen Besitzstand mit Hilfe der Auslandsschulen und Goetheinstitute, des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) und anderer Mittlerorganisationen. Schließlich besteht in Kopenhagen die älteste deutsche Auslandsschule überhaupt (seit 1575).
VI
Wie überall in der Welt ist auch in Skandinavien die beste Garantie für den Einfluss Deutschlands seine wirtschaftliche Stärke. Für alle nordischen Länder außer Island ist Deutschland der Handelspartner Nr.1. Im Verhältnis zu Dänemark und Schweden haben wir sehr hohe Exportüberschüsse, bei Finnland ist der Handel fast ausgeglichen. Island hat einen Überschuss bei sehr geringem Umsatz, aber im Falle Norwegens betragen unsere Einfuhren das Doppelte der Ausfuhren. Diese Ausnahmesituation erklärt sich daraus, dass Norwegen ein bedeutender Erdöl- und Erdgasproduzent ist. Deutschland bezieht von ihm etwa10% seiner Erdöleinfuhren und ca. 20% seines Erdgasbedarfs (gegenüber jeweils 37% bei beiden Rohstoffen aus Russland). Um keine einseitigen Abhängigkeiten aufkommen zu lassen, legt Deutschland großen Wert auf die norwegischen Bezugsquellen.
Im Gesamtbild des deutschen Außenhandels ist der Anteil Skandinaviens allerdings überschaubar. Er liegt bei gut 5%. Bei unseren Ausfuhren entfielen 2015 (abgerundet) 23,1 Mrd. auf Schweden, 17,6 Mrd. auf Dänemark, 9 Mrd. auf Finnland, 8,1 Mrd.. auf Norwegen und 0,4 Mrd. auf Island, bei unseren Einfuhren 16,3 Mrd. auf Norwegen, 14,2 Mrd. auf Schweden, 11,7 Mrd. auf Dänemark, 8,8 Mrd. auf Finnland und 0,5 Mrd. auf Island. Die mit Dänemark verbundenen Färöer Inseln und Grönland werden in der deutschen Statistik getrennt ausgeworfen, fallen aber zahlenmäßig kaum ins Gewicht.
Im Falle Schwedens muss die Bilanz des Warenaustauschs ergänzt werden um die erhebliche Bedeutung der wechselseitigen Investitionen: etwa 900 deutsche Betriebstätten in Schweden und 1250 schwedische in Deutschland. Der Jahresumsatz, den sie generieren, wird auf etwa 37 Mrd. von Seiten deutscher Firmen in Schweden und 71 Mrd. durch schwedische Anlagen in Deutschland geschätzt; darunter sind international operierende Unternehmen wie Ikea, H&M und der Energiekonzern Vattenfall, der eine wichtige Stellung in unserer Stromversorgung erlangt hat. Insgesamt beträgt das schwedische Engagement bei den Investitionen fast das Doppelte des unseren. Das wiegt unseren Überschuss im Warenverkehr sicherlich auf.
Erhebliche Bedeutung in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Skandinavien hat auch der Tourismus. Im Falle Norwegens liegt Deutschland gegenwärtig mit 1,4 Mio Übernachtungen pro Jahr sogar vor den nordischen Nachbarn des Landes. Die berühmten „Nordlandfahrten“ Wilhelms II. mit seiner Yacht „Hohenzollern“ sind heute also ein Privileg breiter Schichten geworden – auch ein Beitrag zur weiteren Vertiefung der guten bilateralen Beziehungen.
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Die Fotos wurden uns freundlicher Weise durch die Nordischen Botschaften, in Berlin (Pressestelle) zur Verfügung gestellt.