Als langjähriger Berliner Abgeordneter und Regierender Bürgermeister wurde er zu einem lebenden Symbol für diese Stadt. 1936 war der gebürtige Lübecker im Auftrag der ehemaligen, von der SPD abgespaltenen, Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) nach Berlin gekommen. Als norwegischer Student getarnt, sollte er unter dem Decknamen Gunna Gassland eine Widerstandsgruppe der SAP gegen das nationalsozialistische Regime leiten. Doch das war unter einer alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringenden Schreckensherrschaft im Hitler-Deutschland nicht lange möglich. 1938 wurde Brandt ausgebürgert, ging zurück nach Norwegen, und als dort deutsche Truppen einmarschierten, weiter nach Schweden. Als Korrespondent skandinavischer Zeitungen kam er 1945 wieder nach Berlin. Er trat der SPD bei und wurde 1949 für die Sozialdemokraten in den ersten Deutschen Bundestag gewählt. Bis zu seinem Tod im Jahr 1992 vertrat er die Stadt Berlin insgesamt 31 Jahre als Bundestagsabgeordneter. Im Jahr 1950 wurde er zugleich Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und 1955 dessen Präsident. Zwei Jahre später wählte man ihn als Nachfolger Otto Suhrs (1894 - 1957) zum Regierenden Bürgermeister des Westteils der damals noch politisch und militärisch in West und Ost geteilten Stadt. In seinen Jahren als Regierender Bürgermeister fielen das russische Berlin-Ultimatum von 1958, der Bau der „Berliner Mauer" (1961) sowie der legendäre Besuch des amerikanischen Präsidenten Kennedy (1917 - 1963) und dessen Rede vor dem Schöneberger Rathaus („Ich bin ein Berliner"). In dieser Zeit gewann Brandt als besonnener Verfechter der Berliner Interessen sehr hohe Popularität. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Jahr 1963 erhielt die von ihm geführte SPD 61,9 % der Stimmen.
Vorangegangen waren auch die Verhandlungen über die sog. Passierscheinrege-lung. Sie ermöglichte es, dass Westberliner B&uuuml;rger nach dem Mauerbau Tagesbesuche bei ihren Ostberliner Verwandten machen konnten. Weil diese Regelung mit den DDR-Behörden ausgehandelt werden musste, sah die CDU die Gefahr einer indirekten Anerkennung der damaligen SED-Regimes und der DDR. Brandt, der das Passierscheinabkommen aus humanitären Gründen befürwortete, musste es deshalb gegen harte Widerstände durchsetzen. Dass er Erfolg hatte, stärkte aufs Neue sein Ansehen in Berlin und darüber hinaus.
Auch nachdem er 1969 zum ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurden war, verlor Brandt Berlin nicht aus den Augen. Unter dem Begriff „Wandel durch Annäherung" leitete er eine neue Politik gegenüber der Sowjetunion, der DDR und den Staaten des damaligen Ostblocks ein. Durch das von ihm unterstützte Vier-Mächte-Abkommen über Berlin konnte das „Provisorium" Westberlin völkerrechtlich stärker gesichert werden.
Brand wurde damals in der Bundesrepublik zum beliebtesten Politiker. Der bekannte Soziologe und liberale Politiker Ralf Dahrendorf schrieb später über ihn: „Ein Liberaler war er nicht, aber doch ein Sozialdemokrat, für den ... die Freiheit Voraussetzung alles anderen war."
Als sich nicht ihm, sondern seinem Nachfolger Helmut Kohl (CDU) die Chance der Wiedervereinigung Deutschlands bot, zeigte sich Brandt nicht missgünstig gegenüber dem Mann aus der gegnerischen Partei, sondern begrüßte den sich anbahnenden Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland mit den Worten: „Nun wächst zusammen, was zusammengehört." Gegen Widerstände in seiner eigenen Partei befürwortete er auch den Einigungsvertrag von 1990. Selbstverständlich gehörte er auch zu den Betreibern einer Verlegung der Hauptstadt der neu geformten Republik von Bonn nach Berlin.
Über Willy Brandt schreibt Florian Russi*):
WILLY BRANDT 1971 wurde ein amtierender deutscher Bundeskanzler mir dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet Will Brandt (1913-1992) erhielt den Preis für Seine Verdienste um die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der damaligen „Deutschen Demokratischen Republik" (DDR) sowie zu den östlichen Nachbarstaaten Deutschlands, insbesondere Polens und Russlands.
Mit einem Kniefalll vor dem Ehrenmal des jüdischen Ghettos in Warschau hatte er symbolisch Abbitte für die von Deutschen und im Namen Deutschlands während der
Naziherrschaft verübten Gräuel und Verbrechen geleistet.
Brandt wurde 1970 von dem amerikanischen Nachrichtenmagazin „Time" zum „Mann des Jahres" gewählt. Von 1976-1992 war er Präsident der Sozialistischen Internationale und von 1977 an Vorsitzender der „Unabhängigen Kommission für internationale Entwicklungsfragen" der sog. Nord-Süd-Kommission der Vereinten Nationen.
*) Florian Russi, „Worauf wir stolz sein können", Eine Recherche, Bertuch Verlag,
Weimar, 2. Auflage 2005