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Der Bettnässer

Russi thematisiert in seinem neuen, einfühlsamen Roman die gesellschaftlichen und psychischen Probleme eines Jungen, dessen Leben von Unsicherheit und Angst geprägt ist.

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Niederländische Botschaft

Niederländische Botschaft

Dietrich Lincke

I.

Die Niederländische Botschaft gilt als Paradebeispiel für einen großen architektonischen Wurf in der deutschen Hauptstadt nach der Wiedervereinigung. Lage und Ausgestaltung wurden ganz bewußt gewählt, um dem Bauwerk die höchstmögliche symbolische Ausstrahlung zu verleihen. Das eindrucksvolle Gebäude fand seinen Platz an der Spree mit Blick auf den historischen Hafen und auf die Friedrichsgracht, die im 17.Jahrhundert von holländischen Ingenieuren nach heimatlichem Vorbild angelegt wurde. Die geschäftige Mühlendammschleuse direkt unterhalb der Botschaft ist einer der zentralen Punkte der Berliner Binnenschiffahrt, ein idealer Ort für die Repräsentanten einer traditionellen Seefahrernation und zugleich ein reizvoller und zentraler Punkt in der historischen Mitte Berlins, von der leider nur wenig erhalten geblieben ist. Von der Rückseite der Botschaft geht der Blick über das alte Stadthaus (heuten Sitz des Senators für Inneres) mit seiner ansprechenden Kuppel direkt auf den Fernsehturm; die Unverbaubarkeit dieses Ausblicks haben sich die Niederlande sogar im Grundbuch absichern lassen. Die Botschaft ist umgeben von weiteren Berliner Amtsgebäuden. Sie liegt also in einem traditionellen Verwaltungsviertel, das sich aber nach der Wiedervereinigung auch zu einem Schwerpunkt diplomatischer Vertretungen entwickelt hat. Gegenüber am anderen Ufer der Spree befinden sich u.a.die brasilianische, die chinesische und die australische Botschaft. 

Das Gebäude selbst beeindruckt durch seine ungewöhnlichen Lösungen. Aber die strengen Vorgaben des Berliner Baurechts waren einzuhalten: eine geschlossene „Blockrandbebauung", also kein Freiraum zwischen Nachbargebäuden; mit einer Firsthöhe von 27 Metern; ein nicht-bebautes Vorfeld am Flußufer. Entgegen diesen Bestimmungen wollten die Niederlande ein freistehendes Gebäude, um den besonderen Charakter einer Auslandsvertretung zu betonen. Die Aufgabe des Architekten kam also einer Quadratur des Kreises gleich. Der Niederländer Rem Koolhaas fand die Lösung: ein L-förmiges Außengebäude, das sich an die Brandmauern der Nachbarn anschließt und nach innen Zwischenräume zum eigentlichen Botschaftsbau, einem Kubus, läßt. Rem Koolhaas hat hier dem gestrengen obersten Berliner Stadtplaner Senatsbaudirektor Stimman ein Schnippchen geschlagen. Außerdem wurde trotz der Einhaltung der 27-Meter-Firsthöhe die gewünschte Zahl von 11 Stockwerken erreicht - dadurch, daß der Architekt mit versetzten Ebenen (von jeweils ungefähr halber Geschoßhöhe) arbeitete.

Ein Charakteristikum des Bauwerks ist die Transparenz durch seine Glaswände, die bewußt eingesetzt wurde, um die Offenheit der niederländischen Gesellschaft zu symbolisieren. Die Durchsichtigkeit setzt sich auch im Innern des Gebäudes fort - nicht immer zur Freude der Mitarbeiter, die zwar einen weiten Ausblick haben, aber sich auch ein wenig wie auf dem Präsentierteller fühlen können. Aber die Funktionalität dieses avantgardistischen Baus wird allgemein anerkannt, und der Architekt wurde mit dem Berliner Architekturpreis 2003 ausgezeichnet sowie 2005 mit dem prestigereichen European Union Prize for contemporary architecture (zeitgenössische Architektur). Das versöhnte dann auch den Berliner Baudirektor Stimman.

Im Innern ist die Ausstattung ebenfalls ungewöhnlich. Neben Sichtbeton wurden edle Hölzer und viel Aluminium verwendet, sogar gläserne Fußböden. Die Büromöbel sind von holländischen Designern eigens für die Botschaft entworfen, und der Bilderschmuck an den Wänden stammt fast ausschließlich von niederländischen Künstlern - außer den vier Siebdrucken, auf denen die jugendliche Königin Beatrix porträtiert ist; sie sind von Andy Warhol.

Die Bauzeit des Botschaftsgebäudes von fast vier Jahren war angefüllt mit viel Arbeit, um im benachbarten Gastland etwas ganz Besonderes zu schaffen. Das unterstreichen auch die Kosten: 54 Mio Euro. Aber die Niederlande wissen mit dem Pfunde zu wuchern, das sie in diesem ungewöhnlichen Bauwerk haben: es wird in die Öffentlichkeitsarbeit der Botschaft einbezogen - mit organisierten Führungen, die immer wieder Architekten anziehen. Aber auch im Internet kann man einen Rundgang durch die Botschaft machen, mit Bild und Ton.

Bei allem zeitgenössischen Engagement hat die niederländische diplomatische Vertretung in Berlin eine lange Tradition. Sie reicht in das 17. Jahrhundert zurück und war ein Zeichen der engen Verbundenheit zwischen den Herrscherhäusern Oranien und Hohenzollern. Ein eigenes Gebäude erwarb die damalige Gesandtschaft aber erst 1894 (Voßstraße). 1923 zog die nunmehrige Botschaft in einen repräsentativen Bau in der Rauchstraße am Rande des Tiergartens. Dieses Domizil wurde im II. Weltkrieg zerstört. Als die Botschaft ihren Sitz in Bonn genommen hatte, verkaufte man das „Trümmergrundstück" in Berlin. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der DDR mieteten die Niederlande Räumlichkeiten für die Botschaft in der Wilhelmstraße. 1999 zog man aus Bonn in die neue Bundeshauptstadt, mietete aber wieder Büroräume in der Friedrichstraße, weil der Entschluß gefaßt war, eine neue Vertretung an der Spree zu bauen: Rolandufer/ Kochstraße 50. Am 2. März 2004 wurde das elegante Gebäude von Königin Beatrix eröffnet.

II.

Die Botschaft vertritt ein Land von 16 Millionen Einwohnern (Deutschland hat etwa 80 Millionen), mit einer Fläche von ca. 42.000 Quadratkilometern (Deutschland ca. 357.000). Die Bevölkerungsdichte der Niederlande ist dementsprechend außerordentlich hoch: 406 pro km² (bei uns 226). Ein Viertel des Landes liegt unter dem Meeresspiegel, weitere große Teile kaum darüber. Gute Deiche sind also überlebenswichtig; aber die Holländer verstehen sich darauf, sie zu bauen.

III: 

1. Wichtiger als die Zahlen ist aber die Intensität der Beziehungen, die gerade in dem Botschaftsbau zum Ausdruck gebracht wird. Eine gängige Formulierung wäre: „eng und freundschaftlich". Aber in unserem bilateralen Verhältnis paßt die Klassifizierung „eng und verwandtschaftlich" besser.


Die gemeinsame Geschichte beider Länder und Völker reicht von der Antike (der Epoche des Römischen Reiches) bis in die frühe Neuzeit. Damals hatten sie auch keine eigenständigen Sprachen. Das Niederländische ist bis heute so eng mit den angrenzenden plattdeutschen Dialekten verwandt, daß man sich untereinander verstehen kann; beim Hochdeutschen erfordert es schon etwas mehr Bemühungen.


Völkerrechtlich gehörten die Niederlande bis zum Westfälischen Frieden, der den Dreißigjährigen Krieg beendete (1648), zum „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation".

Als das Frankenreich geteilt wurde (843), lag das Gebiet im Mittelreich Lotharingien, dessen Nachfolge das Haus Burgund antrat. So wurden sie die „Burgundischen Niederlande" (1384-1477); sie fielen durch Heirat ans Kaiserhaus der Habsburger (1477-1556) und damit schließlich an Karl V. (1519-1556), der auf Grund der zweiten Eheschließung seines Vaters auch das Königreich Spanien geerbt hatte. Bei seinem Regierungsantritt zweifelte in den Niederlanden noch kaum jemand an der Zugehörigkeit zu seinem Reich, zumal er in Flandern (Gent) geboren war. Dann aber verbreitete sich die Reformation, und Karl V. legte am Ende seiner Herrschaft fest, daß die riesigen Ländereien der Habsburger in eine österreichisch/deutsche und eine spanische Hälfte geteilt werden sollten. Die Niederlande kamen an die spanische Linie. Inzwischen hatte die Reformation in ihrer kalvinistischen Variante im Norden des Landes kräftig Fuß gefaßt. Dem versuchte die spanische Krone Einhalt zu gebieten, zumal sie im Süden, der katholisch geblieben war, weiterhin eine Ausgangsbasis behalten hatte. Daraus entwickelte sich ein erbitterter Freiheitskampf, dessen Verlauf zum deutschen Bildungsgut geworden ist. Die beiden größten deutschen Dichter der Klassik haben sich eingehend mit dem Thema befaßt: Goethe arbeitete zwölf Jahre an seinem Trauerspiel „Egmont", bevor er es 1787 auf seiner Italienreise vollendete. Nach der Veröffentlichung 1788 schrieb Schiller seine berühmte Rezension über das Drama. Seine eigenen gründlichen Studien zur gleichen Thematik haben in der historischen Abhandlung „Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung" (1788) ihren Niederschlag gefunden, ebenso wie in seinem Drama „Don Carlos". Der Dritte im Bunde der Großen ist Beethoven: er schrieb für eine Aufführung von Goethes „Egmont" im Wiener Burgtheater 1810 die Schauspielmusik; die Ouvertüre wird bis heute viel in Konzerten gespielt.

2. In dem niederländischen Unabhängigkeitskampf, der in Deutschland noch über 200 Jahre später die größten Geister so bewegte,waren die beiden Hauptakteure der spanische Herzog Alba, der von König Philipp II. mit der Unterwerfung der Niederlande betraut war und diese Aufgabe rigoros, aber schließlich vergeblich zu erfüllen suchte, sowie sein Gegenspieler Wilhelm von Oranien, dessen Familie bis heute an der Spitze des Staates steht. Aber nur der nördliche (kalvinistische) Teil erlangte die Unabhängigkeit und löste sich 1579/81 auch formell von der spanischen Krone. Er nannte sich „Republik der Vereinigten Niederlande", und das Staatsoberhaupt führte den Titel Statthalter. Der südliche (katholische) Teil, im wesentlichen das heutige Belgien, blieb bei Spanien und seit 1713 wieder beim österreichischen Zweig des Hauses Habsburg.

In Holland bezeichnet man die Epoche vom Beginn des Unabhängigkeitskampfes bis zum Westfälischen Frieden 1648 als den Achtzigjährigen Krieg. Aber für das Land wurde diese Zeit zu einer Phase großer wirtschaftlicher Expansion und kultureller Blüte. Besonders die Malerei stach hervor. Dafür stehen Namen wie Rubens (1577-1640) und Rembrandt (1606-1669); sie hatten aber schon eine lange und bedeutende Vorgeschichte in der Region. Im 17. Jahrhundert wurden die Niederlande zur führenden See- und Handelsmacht, bis England sie am Ende dieser Zeitspanne aus der Position verdrängte und auch Frankreich Anstrengungen unternahm, sich in Übersee auszubreiten.

In ihrem großen Jahrhundert spielten die wohlhabenden Niederlande in Europa eine Rolle als Vorbild und „Entwicklungshelfer". Holländische Ingenieure und Handwerker waren begehrt, man versuchte auch, sie als Siedler zu gewinnen. Ein herausragendes Beispiel dafür lieferte Brandenburg, und zwar in der Person des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1640-1688). In seiner Jugend wurde er von 1634-1638 zur Ausbildung in die Niederlande geschickt - und auch zum Schutz vor den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, der seine brandenburgische Heimat verwüstete. Sechs Jahre nach seinem Regierungsantritt heiratete er die älteste Tochter des Statthalters der Niederlande, Luise Henriette von Oranien. Sie brachte Geld in die Ehe und holte holländische Fachleute in das ausgelaugte Land. Der Kurfürst schätzte sie sehr und vertraute ihrem Rat. Sie hatten sechs Kinder. Man sprach bald von einer „Verholländerung" der Mark Brandenburg. Noch heute gibt es viele Zeugnisse für den niederländischen Einfluß, wie etwa den Namen „Fläming" für einen ganzen Landstrich im Süden Brandenburgs oder die Stadt Oranienburg nördlich von Berlin. Am bekanntesten ist das „Holländische Viertel", heute wieder eine Touristenattraktion in Potsdam; es wurde vom Soldatenkönig, dem Enkel des Großen Kurfürsten, von 1733-1740 geschaffen und von Friedrich dem Großen ausgebaut.

3. Die rasch einsetzende Blütezeit der Niederlande im 17. Jahrhundert hatte auch eine umfassende Ausbreitung in Übersee gebracht, besonders im heutigen Indonesien und in der Karibik (Antillen), aber auch in Westafrika (Goldküste), im Kapland (Ansiedlung der überwiegend holländischen Buren, die ihre Sprache bis heute beibehalten haben). Wo überall die Niederländer - zumindest vorübergehend - Fuß gefaßt hatten, zeigen zwei Streiflichter: New York wurde von ihnen als Nieuw Amsterdam gegründet; Ceylon, das heutige Sri Lanka: dort künden in der Hauptstadt Colombo noch Nachkommen und typische Grachten von den holländischen Vorvätern. Träger dieser weltweiten Ausbreitung waren zwei große private Gesellschaften, die Ostindische und die Westindische Kompanie, deren Ländereien erst lange danach vom Staat übernommen wurden. Im 18. Jahrhundert konnten die Holländer die meisten ihrer Außenbesitzungen im Windschatten des englisch-französischen Ringens in Übersee halten. Im 19. Jahrhundert drängte dann England die Niederlande aus vielen Besitzungen heraus (Ceylon, Malakka; Kapland, Westafrika).

4. Die Französische Revolution und die Zeit Napoleons brachten die große Zäsur, zunächst im Mutterland selbst, als Frankreich seine Nachbarn annektierte oder bei ihnen Satellitenregime installierte. So gründete es 1795 die „Batavische Republik", 1806 umgewandelt in das Königreich Holland, das Napoleons Bruder Louis bekam. Belgien wurde von Frankreich rundheraus eingegliedert. Der Wiener Kongreß (1814/15) beendete diese Phase: Wilhelm I. von Oranien kehrte als König zurück (nicht mehr als „Statthalter"). Die Niederlande wurden mit Belgien zusammengefügt, da man einen stärkeren Staat an Frankreichs Grenze haben wollte. Außerdem wurde Wilhelm noch in Personalunion Großherzog von Luxemburg; diese Verbindung hielt lediglich bis 1890, als sie wegen unterschiedlicher Erbfolgeregelungen auseinanderfiel. Belgien blieb sogar nur bis 1830 bei den Niederlanden, bis es sich löste und eine eigene Dynastie aus dem Hause Sachsen-Coburg/Gotha installierte. (Erst 1947 schlossen sich die drei Benelux-Länder zumindest in Form einer Wirtschaftsunion wieder zusammen.)

5. Im Ersten Weltkrieg wahrten die Niederlande ihre Neutralität, die von Deutschland nicht angetastet wurde. Nach Kriegsende gewährte das Land Kaiser Wilhelm II. Asyl. Das erforderte viel Mut und Stehvermögen gegenüber dem Druck der Siegermächte, die eine Auslieferung verlangten. Wilhelm II.starb 1941 im Haus Doorn, im holländischen Exil.

6. Auch im Zweiten Weltkrieg versuchten die Niederlande, neutral zu bleiben. Zu Beginn des Frankreichfeldzugs im Mai 1940 befahl Hitler jedoch den Einmarsch, um die französischen Befestigungen an der Maginot-Linie umgehen zu können. Die holländische Gegenwehr hielt nur fünf Tage. Sie brach nach der rücksichtslosen Bombardierung Rotterdams zusammen, und das Land blieb bis 1945 unter deutscher Besetzung.

7. In Asien eroberte Japan das Kolonialreich „Niederländisch-Indien", das heutige Indonesien. Die Holländer versuchten nach Kriegsende hartnäckig, es durch sogenannte Polizeiaktionen zurückzuerobern, mußten dies aber Ende 1949 aufgeben und die Unabhängigkeit Indonesiens anerkennen, so wie Großbritannien es Indien schon 1947 kampflos zugestanden hatte.

Die kolonialen Besitzungen in der Karibik und Guayana (Surinam) an der Küste Südamerikas gaben die Niederlande später auf; einige Inseln (Aruba, Curacao, Sint Maarten) sind mit dem Mutterland noch immer lose durch einen Sonderstatus verbunden.

8. Aber die traditionelle Überseegeltung Hollands war nach dem Zweiten Weltkrieg beendet. Was übrig blieb, war ein bemerkenswert hoher Anteil an weltweiten Auslandsinvestitionen und, damit zusammenhängend, eine Reihe großer international operierender Konzerne, die in den Niederlanden beheimatet sind (z.B. Shell, Unilever, Heineken, Philips).

Aber das Königreich mußte sich noch vor den anderen klassischen Kolonialmächten als ein Land in Europa definieren. Dabei war sein Verhältnis zu dem großen Nachbarn Deutschland zunächst gestört, und es brauchte Zeit, um die Vorbehalte, die aus dem Neutralitätsbruch und der deutschen Besetzung herrührten, zu überwinden. Die gemeinsame Gründungsmitgliedschaft in der EWG und der darauf aufbauenden EU sowie in der NATO boten die Ansätze. Die traditionellen Verbindungen des Herrscherhauses konnten in einer parlamentarischen Demokratie nicht viel bewirken.(Königin Emma war deutscher Herkunft; alle nachfolgenden Königinnen,Wilhelmina (seit 1890), Juliana (seit 1948), Beatrix (1980-2013) hatten Deutsche geheiratet; erst der neue König Wilhelm-Alexander hat sich mit einer Argentinierin vermählt.) Aber die persönlichen Kontakte und der Tourismus über die gemeinsame Grenze hinweg erreichten eine erhebliche Breitenwirkung, die zu einer Wiederannäherung beitrug. Man rechnet pro Jahr mit etwa 10 Millionen Übernachtungen holländischer Besucher in Deutschland, das ihr erstes Reiseziel ist. Neuere Umfragen zeigen, daß an die Stelle der Entfremdung wieder Verständnis und Vertrauen treten.

IV.

Die greifbare Grundlage für das gute bilaterale Verhältnis dürfte aber die enge Verflechtung der beiden Volkswirtschaften sein, die nach Einschätzung von Experten nur noch von der zwischen den USA und Kanada übertroffen wird.

Von Deutschland aus betrachtet, sind die Niederlande Nr. 1 unter seinen Lieferländern; als Abnehmer stehen sie an 5.Stelle. 2014 importierten wir für 88 Mrd. Euro und exportierten für 73 Mrd.. Holland gehört damit zu den wenigen Ländern, die im Handel mit uns einen Überschuß erzielen, was durchaus erwünscht ist. Allerdings ergibt sich daraus, daß die Niederlande im gesamten Außenhandelsvolumen an zweiter Stelle hinter dem viel größeren Nachbarn Frankreich liegen.

Von Holland aus gesehen, ist Deutschland der weitaus wichtigste Handelspartner: etwa 19% der Einfuhren und 24% der Ausfuhren.

Charakteristisch für den Warenaustausch zwischen hochentwickelten Staaten ist es, daß die Güter, die in beiden Richtungen gehen, häufig zu den gleichen Kategorien gehören: im deutsch-niederländischen Handel gilt dies für Maschinen und elektronische Produkte. Deutschland hat jedoch einen Schwerpunkt bei Fahrzeugen, Holland bei Kraftstoff, chemischen Produkten und landwirtschaftlichen Gütern, besonders Futtermitteln. Die Aufzählung zeigt schon, daß es sich z.T. nicht um originäre Erzeugnisse des Nachbarlandes handelt, sondern um dort verarbeitete Produkte. Auch Dienstleistungen sind ein wichtiger Faktor; so wird z.B. Rotterdam gern als der „größte deutsche Hafen" bezeichnet.

Der intensive Handel begünstigt Anpassung und Gleichklang in der Wirtschaftspolitik. Deshalb arbeiten die Zentralbanken beider Länder seit langem eng zusammen, gerade in der Währungspolitik, auch schon vor der Einführung des Euro. Die Regierungen vertreten oft gleiche Positionen im Rahmen der EU, da sie marktwirtschaftliche Lösungen gegenüber staatlichem Dirigismus vorziehen, und beide haben seit Jahrzehnten die soziale Marktwirtschaft umgesetzt.

V.

Parallelen gibt es allerdings auch in den Problemen, die beide Länder bewältigen müssen, manchmal mit unterschiedlichen Lösungsansätzen, z.B. bei der Zuwanderung aus Übersee, der Drogenpolitik und ethischen Fragen wie dem Schutz des menschlichen Lebens.

VI.

Dabei ist zu konstatieren, daß der Einfluß der Kirchen in den Niederlanden stärker zurückgegangen ist als in Deutschland, jedenfalls in den „alten Bundesländern". 45% der Bevölkerung sind inzwischen konfessionslos, 28% katholisch, nur 18% Protestanten, immerhin 5% muslimisch, 4% bekennen sich zu anderen Glaubensrichtungen. Wenn man bedenkt, daß die Niederlande aus dem Freiheitskampf der Kalvinisten gegenüber der katholischen Obrigkeit hervorgegangen sind und wie lange der Protestantismus das Leben dort noch maßgeblich beeinflußte (bis ins 20.Jahrhundert), dann ist das eine gewaltige Umkehr der Relationen.

VII.

Der geographischen und kulturgeschichtlichen Verbundenheit zwischen den Niederlanden und dem deutschen Sprachraum tut das keinen Abbruch. Hier herrscht ein reger Austausch auf allen Gebieten der Forschung, Lehre und Bildung, der oft direkt, ohne Einschaltung staatlicher Strukturen abläuft, erleichtert durch die Verwandtschaft der Sprachen. So studieren z.Zt. etwa 25.000 Deutsche im Nachbarland. Wissenschaftliche und fachliche Diskussionen und Einflüsse gehen über die Grenze hinweg. Auf allen Gebieten der Kunst waren die gegenseitigen Einflüsse stets stark. In der Malerei künden bis in unsere Zeit große Namen davon. Das gilt auch in der Architektur. Ein gutes Beispiel dafür ist der Architekt der niederländischen Botschaft, Rem Koolhaas. Er hat sich, bevor er die Aufgabe erhielt, eingehend mit der neuen Gestaltung Berlins befaßt und auch in der „innerdeutschen" Diskussion seine Meinung beigetragen. Diese Ideen sind in sein Bauwerk mit eingeflossen. Auch das ist ein Grund, warum es in Berlin so viel Anklang findet.

Niederländische Botschaft

*****

Fotos: Dietrich Lincke 

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