Felix Philippi (5.8.1851 - 23.11.1921) war Schriftsteller, Journalist und Regisseur. Nach einer Zeit als Journalist in München und Regisseur in Augsburg lebte er ab 1891 wieder in seiner Heimatstadt Berlin. Er schrieb etliche Romane, die sich mit dem Leben in Berlin befassten und großen Zuspruch fanden (u.a. „Alt-Berlin. Erinnerungen aus der Jugendzeit", „Das Schwalbennest" und „Jugendliebe".
Hannelore Eckert
Ein echtes Volksfest
Ich habe auf weiten Reisen, die mich durch Deutschland und Italien, durch Frankreich und Griechenland führten, zahllose Volksfeste gesehen, Volksfeste von blendendem Glanze, von glühenden Farben, von südlicher Tollheit, überflutet von goldigster Sonne: etwas Liebenswürdigeres, Heimlicheres, echt Volkstümlicheres als den Berliner Weihnachtsmarkt habe ich trotz der Unfreundlichkeit des nördlichen Klimas und trotz aller Grämlichkeit des Himmels nie wieder gefunden. Schneegestöber, grimmige Kälte oder matschiges Tauwetter spielten keine Rolle.
Die letzten vierzehn Tage vor dem Feste, namentlich nachmittags nach Schulschluß, drängte und drängelte sich, schob sich und flutete durch diesen riesigen Weihnachtsmarkt eine unabsehbare, fröhliche, erwartungsvolle und kauflustige Menge. In dieser Budenstadt, obwohl in Straßen eingeteilt, konnte man sich schon leicht verirren. Sie umfaßte den ganzen Schloßplatz, und auf der anderen Seite des Schlosses den großen Lustgarten. Hier reihte sich Bude an Bude, manche reell gezimmert, viele nur luftig mit einem Plan überspannt. Große Öllampen gossen ihr rötlich-schummriges Licht über all die Herrlichkeiten!
Potztausend, davon haben Sie ja gar keine Ahnung: Leinewand aus Schlesien und lange Schaftstiefel aus Kalau, Puppen mit blödsinnigen Gesichtern und einhenkelige Porzellanvasen zu intimen Zwecken, buntkarierte Bettbezüge und taubstumme Kanarienvögel, Nippesfiguren und echte Nerzpelzmützen aus Lampes edlem Fell, Bratpfannen und Rückerts „Liebesfrühling", Seife, die nach gebratenen Heringen roch und Heringe, die nach Seife schmeckten, gestrickte Hosenträger mit der in Wolle gestickten ersten Mahnung „Bleibe mich treu", und feinsten französischen Rotwein - darauf kann ich Ihnen mein Ehrenwort geben - Bordeaux - Schloßabzug, die Flasche 7 ½ Silbergroschen. Und die Damen, die alle diese Schätze feilboten, alle Achtung! Das waren nicht die Ladies mit den hohen Stehkragen, denen man heute in den Magazinen begegnet; o nein! Das waren Frauen, die ihre sehr rundlichen Formen durch zahlreiche Umschlagtücher noch vorteilhafter gehoben hatten, die, das glimmende Kohlenbecken rechts und die dampfende Kaffeekanne links, schwadronierten und schmeichelten, feilschten und schimpften.
Die jungen Mädchen suchten sie durch „Koofen Se, Madameken" zu ködern, die alten Jungfern durch „Na, scheenet Freilein, wat for`n Schatz?" zu locken. Ja, so eine Bande war das!
Und nun die vielen Hundert Spielzeugbuden, die mit ihren Festungen, Wachen und Zinnsoldaten, mit den Puppenstuben und Küchen die Jugend in einen Taumel des Entzückens versetzten, und die Pfefferküchler! Ach, du lieber Gott, wie soll ich Ihnen nur die beschreiben? All diese Berge von Mehlweischen und Pflastersteinen, von Pfeffernüssen und Zuckerherzen, von vergoldeten Äpfel und versilberten Nüssen, von rosa gefärbten Honigkuchen, die in weißer Zuckergussschrift einige Lehrsprüche und innige Liebe in nicht ganz einwandfreier Orthographie kündeten. Und dieser Höllenlärm von Knarren und Mähschäfchen, von quietschenden Puppen, von Trompeten, Trommeln und Drehorgeln, und dieser Schmalzge... na, sagen wir...geruch aus all diesen Pfannkuchenbuden und die ganze duftige, luftige und lustige Stadt durchdrängt und durchflutet von seligen Kindern und glücklichen Eltern, und von der Parochial-, der Gertrauden- und Nikolaikirche tönen feierlich und doch fröhlich die Glocken herüber in den kalten Winterabend.
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Foto: Emily