Der Berliner Winter ist berüchtigt, und Berliner beginnen bereits Ende August, herzlich über Schneematsch, Glatteis, Ostwind, lichtlose Tage und Schienenersatzverkehr zu muffeln! Aber wie kindlich-groß das allgemeine Entzücken über den ersten Schnee, der die Stadt verfremdet und verschönt und alle pragmatischen Einwände sofort als schnöden Kleinmut entkräftet! Ein jeder strebt, mit toute la famille, mit Schlitten, Schlittschuhen, Thermobecher ins unwiderstehliche, noch makellose Weiß und frönt der Lustwandelei in den Straßen oder dem geselligen Alpinsport im Park. Die generelle Abwesenheit von Mittelgebirgen ist dabei kein Hindernis. Sommers kein Meer, winters keine Berge, da muss man sich behelfen. Jedes noch so geringe Terraingefälle wird zum Rodelhang, jede zugefrorene Lache zur Eislaufbahn, mit Langlaufski schmirgelt man enthusiastisch über die leidlich geschlossene Schneedecke auf dem Tempelhofer Feld, im Volkspark Schöneberg oder im Tiergarten. Schneemänner aller Art schießen aus dem Boden, Kinder und Hunde kullern selig im kühlen Element herum, Spaziergänger werden ungefragt in Schneeballschlachten verwickelt. Im großen Tiergarten zeichnet der Schnee die filigranen Linien der Zweige, die schmiedeeisernen Schnörkel, die Silhouetten der Skulpturen nach, dämpft milde den Verkehrslärm und schafft eine zeitentrückte Postkartenatmosphäre wie aus dem Jahre 1900 - joggte nicht gelegentlich ein unverwüstlicher, eindeutig der Jetztzeit zuzuordnender Sportler im schrillen Allwetterwams durchs Bild.
Aber weh, früher oder später setzt das Tauwetter ein, all die Freuden sind jäh vergessen, und es wird jeschümpft über den hartnäckigen, grauen Pamp in den Rinnen! Juni, Juli, August züchtet man sich wieder eine zünftige Abneigung gegen die vierte Jahreszeit heran, die spätestens beim ersten Schneefall spontan in Vergessenheit gerät - Berlin: Ski und Rodel juut!
*****
Fotos: Jean Gies