Seit 1894 tagten und debattierten in dem Hohen Haus Abgeordnete vieler Parteien und Strömungen. Bedeutende Persönlichkeiten ergriffen dort das Wort. Aus der Kaiserzeit (bis 1918) sind u. a. der Sozialdemokrat August Bebel, der Zentrumspolitiker Ludwig Windhorst und der große Mediziner und liberale Gesundheitspolitiker Rudolf Virchow zu nennen. Aus der Zeit der Weimarer Republik finden wir Namen wie Gustav Stresemann, Theodor Heuss, Paul Löbe, Julius Leber, Otto Wels, Matthias Erzberger, Adam Stegerwald und Helene Weber. Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann (1865 - 1939) von einer Balkonbrüstung des Reichtstagsgebäudes die Republik aus. Am selben Tag hatte der glücklose Wilhelm II. als deutscher Kaiser abgedankt.
Am Abend des 27. Februar 1933, vier Wochen nach Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, ging der Reichstag in Flammen auf. Als Brandstifter verdächtigt und zum Tod verurteilt wurde der niederländische Kommunist Marinus van der Lubbe (1909 - 1934). Die Nationalsozialisten nahmen die Tat zum Anlass, eine Verfolgungsjagd gegen deutsche Kommunisten und andere Regimegegner zu beginnen.
Als der 2. Weltkrieg zu Ende ging und russische Truppen Berlin eroberten, pflanzten am 30. April 1945 Soldaten die sowjetische Fahne auf dem Dach des Reichstagsgebäudes auf. Ein Foto davon ging um die Welt und dokumentierte die militärische Niederlage des Deutschen Reichs und den Zusammenbruch des Hitler-Regimes.
Nach der Teilung Berlins durch die vier siegreichen alliierten Mächte lag das Reichstagsgelände auf dem Boden des britischen Sektors und damit im Gebiet Westberlins. Von 1961 an ließ die deutsche Bundesregierung das stark zerstörte Haus sanieren und pflegte es als ein Symbol für den Willen der Deutschen zur politischen Einheit ihres Landes. Seit 1973 fanden in dem Gebäude gelegentlich Ausschusssitzungen des Bundestags und Fraktionsversammlungen statt. Erstmals 1994 tagte im Plenarsaal des Reichstags auch die Bundesversammlung und wählte Roman Herzog zum Bundespräsidenten. Die Wahl seiner Nachfolger Johannes Rau, Horst Köhler und Christian Wulff fand ebenfalls im Reichstagsgebäude statt.
1995 blickten viele Millionen Menschen aus aller Welt nach Berlin, als das Künstlerehepaar Christo und Jeanne Claude den Reichstag in silberfarbene Tücher aus feuerfestem Polypropylengewebe verpackte.
Seit Berlin durch Beschluss des Bundestags vom 20. Juni 1991 Hauptstadt des geeinten Deutschlands wurde, ist das Reichstagsgebäude Sitz und Tagungsort des Deutschen Bundestags. Mit seiner begehbaren neuen Glaskuppel wurde es zu einer Attraktion für Berlinbesucher. Beim Betreten des Haupteingangs können die Abgeordneten über dem Tor immer noch lesen, wem sie in ihrer Arbeit verpflichtet sind.
Der Reichstagsbau steht heute für fast 150 Jahre deutscher Geschichte mit Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und 3. Reich, 2. Weltkrieg, Zerstörung, Teilung und Wiedervereinigung. Er ist damit auch ein Mahnmal für politische Vernunft, Frieden, Verständigung und für die Freiheiten, die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland den Bürgern zugesagt sind.
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Fotos: http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/ba103392/index.html
http://www.welt.de/kultur/article1564145/Wie_Russlands_Fahne_1945_auf_den_Reichstag_kam.html