Das Deutsche Technikmuseum Berlin bietet ein besonderes Erlebnis. Es unterscheidet sich in Konzeption und Gestaltung stark von den „klassischen Museen", insbesondere auf der Museumsinsel und dem nahegelegenen Kulturforum am Potsdamer Platz.
Kommt der Besucher nach München, hat er oft drei Museen auf seiner Wunschliste, die Alte und die Neue Pinakothek und das Deutsche Museum „von Meisterwerken der Naturwissenschaften und Technik". 1903 gegründet, ist es bis heute das größte seiner Art in der Welt. Neben diesem „Platzhirsch" muss sich nun das neue Deutsche Technikmuseum in Berlin zur Geltung bringen. Es wurde 1983 eröffnet. Äußerlich sind die Unterschiede groß: der traditionelle Bau auf der Münchner Museumsinsel und der Berliner Gebäudeverbund in einem Gewerbegebiet des ausgehenden 19. Jahrhunderts, umgeben von Strecken und Brücken der U- und S-Bahn. Das Museum ist teilweise in einem stattlichen alten Ziegelsteingebäude untergebracht, einer ehemaligen Fabrik, in der früher Eisblöcke hergestellt worden sind, die mit Pferdefuhrwerken in der Stadt verteilt wurden, auch im Straßenverkauf an die Haushalte. Die Pferdeställe waren gleich im Fabrikgebäude und über eine "Pferdetreppe" zu erreichen. Dieses Erinnerungsstück wurde liebevoll erhalten.
An das alte Fabrikgebäude schließt sich der moderne Teil mit großen Glasfassaden an. Er wird von einem Original -„Rosinenbomber" gekrönt (Spitzname der Berliner für die alliierten - vor allem amerikanischen - Transportflugzeuge, die während der Blockade 1948/49 die Stadt aus der Luft versorgten). Dies ist ein eindrucksvolles Kompliment an die Luftfahrt, die Berlin die Freiheit rettete.
Auf der anderen Seite der Eingangshalle erstreckt sich der Museumskomplex über das Gelände des früheren Anhalter Güterbahnhofs. Zwei große ehemalige Lokschuppen mit 33 Werkstattgleisen sind einbezogen. Sie lagen nach dem Krieg in Ruinen, und die Vegetation bedeckte sie. Jetzt wurde die Fläche fast ganz mit einer lichten, großräumigen Glaskonstruktion überdacht. An einer Stelle wurde der pflanzliche Wildwuchs jedoch belassen und an den weiträumigen Park um das Museum angegliedert, der auch mit Exponaten wie einer prachtvollen Windmühle, einem Wasserturm und einer Schmiede bestückt ist.
Auf den Gleisen in den ehemaligen Lokschuppen befindet sich eine stattliche Auswahl von historischen Lokomotiven und Waggons, darunter der Salonwagen Wilhelms II.. Im modernen Gebäudeteil hat unten die Schifffahrt Platz, u.a. mit vielen Modellen zur Geschichte des Schiffsbaus. In den oberen Stockwerken befinden sich die Exponate zur Luft- und Raumfahrt. Prunkstück ist eine komplette Junkers Ju 52/3m, das berühmte, unverwüstliche Flugzeug der Vorkriegszeit.
Lange fehlte noch eine umfassende Darstellung des Straßenverkehrs, obwohl das Museum viel Material darüber hatte. Diese Lücke sollte zur 125-Jahrfeier des Automobils (1886-2011) geschlossen werden. Das gelang pünktlich. 2011 wurden die neuen Ausstellungshallen in den Lagerräumen der Ladestraße des ehemaligen Anhalter Bahnhofs eröffnet. Sie sind dem Hauptkomplex des Museums benachbart und über einen besonderen Zugang erreichbar. Dort befindet sich eine stattliche Anreihung von „Oldtimern“, vielleicht nicht so vollständig wie in anderen Liebhabermuseen zu dem Thema, aber didaktisch zusammengestellt, um die Entwicklung des Kraftfahrzeugbaus, mit Fortschritten und Fehlschlägen, zu illustrieren. Den Grundstock bildet auch hier die Sammlung eines Autoliebhabers, des Berliner Industriellen Hugo Poddig, die nach seinem Tode teilweise von der Daimler-Benz AG aufgekauft und dem Technikmuseum geschenkt wurde. Unter den Exponaten findet man einen Nachbau des „Urahnen“ aller Autos, den Mercedes-Benz Patent-Motorwagen 1886, und mehrere Prachtexemplare der NAG (Nationale Automobilgesellschaft, die in Berlin ansässig war) wie auch von Mercedes-Benz und anderen Marken, ebenso Zeugnisse der Massenproduktion: einen Ford T von 1921 (die „Blechlizzie“) und einen VW Export 1951. (Siehe Bilder im Anhang). Daneben kommen Motorräder und Fahrräder nicht zu kurz.
Hinter der Abteilung Straßenverkehr gelangt man In der Ladestraße in die Dauerausstellung „Das Netz“, welche die Entstehung und Wirkungsweise von Informations- und Kommunikationssystemen für jung und alt verständlich erklärt.
Vorläufer dieser Abteilung war u.a. eine Sonderausstellung zum 100.Geburtstag des Berliner Erfinders Konrad Zuse (1910-1995), der in den 30er Jahren den Computer entwickelte und 1941 das erste – bereits funktionstüchtige - Exemplar vorstellte.
Ebenso wie diese bahnbrechende Neuerung wurden viele andere technische Entwicklungen in Berlin angestoßen und in die Praxis umgesetzt. Interessantes Anschauungsmaterial ist erhalten geblieben. Das schlägt sich in der Beschreibung wichtiger Industriezweige des 19./20.Jahrhunderts nieder. Sie werden (auch mit ihrer weiterreichenden Vorgeschichte) im Hauptgebäude überzeugend und wirksam dargestellt, insbesondere der Eisenbahnbau, die chemische und pharmazeutische Industrie, die Elektroindustrie, die Film- und Fotobranche, Druck und Papierherstellung, das Brauereiwesen. Vielleicht erstaunlich für den Laien: auch der Zuckerherstellung ist eine besondere Abteilung gewidmet. Über 100 Jahre (1904-2012) war sie sogar in einem eigenen Museum in Berlin-Wedding untergebracht. Das hatte einen ortsbezogenen Grund: Im 18. Jahrhundert war in Berlin die Zuckerrübe als geeigneter Rohstofflieferant erschlossen worden. Damit war der Grundstein einer Produktion für den Massenverbrauch eingeleitet, die wiederum dem Maschinenbau starke Impulse gab, und dieser ist bis heute (neben dem Kfz.-bau) der Star der deutschen Exporttatistik. So ist es logisch, daß die Zuckerherstellung im Museum den ihr gebührenden Platz erhalten hat. (s. auch den Beitrag: „Berlin – eine süße Stadt“)
Das ist zugleich ein wichtiges Beispiel dafür, daß zahlreiche Sammlungen und Museumsbestände von ihren alten Standorten - vor dem II. Weltkrieg hatte Berlin über 100 - in dem neuen zentralen Komplex zusammengebracht oder zumindest der Stiftung Deutsches Technikmuseum unterstellt werden. Bei einigen Einrichtungen ist eine Zusammenlegung allerdings nicht sinnvoll und auch gar nicht möglich wie beim Zeiss-Großplanetarium in Prenzlauer Berg und bei der Archenbold-Sternwarte im Treptower Park, die schon 1896 gegründet wurde und bis heute über das größte Linsenfernrohr der Welt verfügt. Sie gehören aber mit zur Stiftung.
Nur der Kuriosität halber sei erwähnt, dass das „Science Center Spectrum“, trotz seiner Lage direkt neben dem Museum, nicht als dessen Bestandteil gilt, wenn es auch der Stiftung untersteht. Streng genommen hat es in der Tat keinen musealen Charakter. Man sollte es aber, gerade wenn man mit jungen Leuten dort ist, gleich mit besuchen – unter Verwendung derselben Eintrittskarte. Es ist praktisch ein großes Laboratorium - wie ein überdimensionaler Schul-Physikraum. Hier können die Besucher nach Herzenslust auf allen geeigneten Feldern der Physik experimentieren. Das Haus ist meist voller Kinder und Jugendlicher aller Altersstufen mit oder ohne Eltern, Lehrer oder Kindergärtnerinnen.
Im Museum selbst sticht ebenfalls das geringe Durchschnittsalter der Besucher ins Auge. Zwar sieht man durchaus alte Damen und Herren, die sich ihren Steckenpferden widmen oder ihrer Nostalgie frönen. Aber auffällig sind die vielen Eltern mit kleinen Kindern. Diese sind tatsächlich vom Dargebotenen oft fasziniert und keineswegs „quengelig". Das liegt sicher an der geschickten Präsentation und auch daran, daß manches „anfaßbar" ist, wobei sogar die eine oder andere Spielgelegenheit geboten wird. Also ein Ziel für Eltern, die mit ihren Kindern nach Berlin reisen und sich nicht trauen, sie in eine Gemäldegalerie mitzunehmen.
Allgemein kann das Fazit lauten: Das Technikmuseum verdient schon heute, ähnlich wie in München ein Magnet für Besucher zu werden. Dabei hat es noch ehrgeizige Erweiterungspläne: das „Projekt Technoversum - das Museum der Zukunft", das dann zum neuen Hauptgebäude werden soll.
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Fotos: Dietrich Lincke